32Tage 18Knoten 5Minuten – Mit dem Containerschiff von Hamburg nach Malaysia
Eine langsame Reise im Mopedtempo über die Meere von Europa nach Asien, organisiert von Langsam Reisen (Berlin). Zu der Reise gibt es einen langsamen Film – und unten Auszüge aus dem Reisetagebuch.
Auszüge aus dem Reise-Tagebuch
3.11.2017
Warum hängt im Büro des Hafenmeisters ein Candyautomat? Beim genaueren Hinschauen entpuppt er sich als Ohrstöpselspender. ≈ Wir sind im Herzen des Hamburger Containerhafens angekommen, haben die wacklige Gangway gemeistert, nehmen unsere komfortable Kabine in Besitz und beobachten, wie die CMA CGM Jules Verne gleichzeitig be- und entladen wird. Kranballett, die Musik dazu ist Heavy Metal. Container fliegen auf Armeslänge an unserer Kabine vorbei. ≈ Wir sind die einzigen Passagiere. Außer uns ist eine Crew von 29 Personen an Bord dieses 396m×53.6m großen Ungetüms. Bordsprache: Englisch.
4.11.
Mit Ohrstöpseln gut geschlafen. November-Nebel-Sonnenaufgang zwischen Schwermetall. Tag und Nacht wird geladen. Wir erkunden das Schiff. Über unseren privaten „Balkon“ können wir per Außentreppe drei Stockwerke höher auf die Brücke steigen. Haushoch ist das. Wenn wir hinunter in den offenen Bauch des Schiffes sehen, sind das 60 oder 70 Meter. ≈ Die Ausfahrt beginnt so sanft, dass wir sie fast verpassen. Die Schiffsbegrüßungsanlage mit guten Wünschen und Marseillaise ist eine herrliche Hamburger Spezialität. Wir antworten mit dem Nebelhorn. ≈ Im Dunkeln an Brunsbüttel, Cuxhafen vorbei, vor dem Schlafengehen werden wir in der Nordsee sein. Vollmond, dick, orange, eitel und fotogen zwischen bauschigen Wolken.
6.11.
Rotterdam. Voll automatisierter Hafen. In den Kränen und Zubringern sitzt niemand. Schon in Hamburg dachte ich, dass so ein Hafen auch ein Organismus ist, vieles erinnert an tierische Bewegen. Die Kräne sehen wie gigantische Giraffen aus. Aber am besten gefallen mir die Greifer von den Kränen, mit denen Container an ihren Platz gestellt werden. Diese Dinger haben an den vier Ecken Füßchen, mit denen sie zupacken. Die Füßchen haben jeweils drei „Zehen“, und manchmal bewegen die sich nicht ganz synchron – wie lebendig. Und nicht immer passt alles gleich auf den Zentimeter; dann müssen die Container noch mal gehoben werden, vielleicht nochmal, bis sie einrasten und es den finalen Rums gibt. Dieses Imperfekte macht das Metall lebendig. ≈ In Rotterdamm ist der Grad der Präzision noch höher. Und in dem Augenblick, in dem wir darüber reden, bekommt der Kran einen Container just NICHT rausgehoben. Nach einigen Versuchen wird an einer anderen Stelle weitergemacht. ≈
Die französischen Offiziere und die überwiegend philippinische Besatzung sind – bei den Mahlzeiten – getrennt. Auch die philippinischen Offizieren essen in der Mannschaftsmesse. Wir wurden in der Offiziersmesse platziert, es geht höflich, freundlich, vornehm zu, während aus der Mannschaftsmesse lautes Gelächter erschallt…
7.11.
Macht jeder Hafen andere Geräusche? Hier in Rotterdam ist es das besonders laute Pfeifen der Kräne
8.11.
Zeebrücke. Wir sind noch im Großstadt-Modus: Die Langsamkeit, mit der das Ablegen z.B. erfolgt, macht uns ungeduldig. Wann geht es denn nun los? Jetzt… Nein, doch nicht… Jetzt? … Was machen die bloß so lange?
10.11.
Gestern Landgang Le Havre. Das spannendste war das Hafengelände selbst und der Fahrer, der uns zurück brachte. Er erzählte Interessantes, z.B. über die stinkenden Sünden Exxons mitten im Hafen ≈ Auf dem Hafengelände darf man keinen Schritt zu Fuß gehen, strenge Kontrollen, Hochsicherheitsbereich. Ein Überseehafen ist unvorstellbar groß. Wir fuhren mit dem Auto viele Kilometer drumherum und zu unserem Liegeplatz. Wenn man dann unter der Jules Verne steht und hochschaut, ist man komplett eingeschüchtert. Wir sehen das Schiff nie im Ganzen, nur ein Stück der Seitenwand oder bei der Anfahrt den breiten Hintern, der schon erschreckend genug ist. Der Fahrer machte gleich ein Foto. ≈ In der Nacht muss Exxon gelüftet haben, morgens war ein böse giftiger Gestank in der Kabine
11.11.
Heute haben wir das, was wir wollten: hohe See samt eindrücklichen Schiffsbewegungen. In der Nacht war es so, als wenn an unserem Bett grob gerüttelt wurde. Vormittags musste ich Reisekaugummis kauen. ≈ Der Ärmelkanal hat uns entlassen, wir schippern raus in die Biskaya. Mal sehen, was die nächste Nacht bringt. ≈ Es ist schwer, die Höhe der Wellen zu schätzen, wir müssen uns immer wieder erinnern, wie hoch wir hocken – nur wenn gelegentlich ein kleineres Schiff auftaucht und wir sehen, wie es mit seinem Bug fast eintaucht, ahnen wir, was sich da draußen abspielt. ≈ Eben hat der Wind unseren schweren Massivholztisch auf dem Balkon umgepustet, der Regen peitscht, die Wellen gehen hoch. Mein Vertrauen in dieses Schiff ist grenzenlos, fühle mich trotz Sturm geborgen. Schon in Hamburg mussten wir Notsignale lernen, einen Neoprenanzug anprobieren, weitere Übungen wurden angekündigt. Aber was soll diesem Riesen zustoßen?
12.11.
Wir erwachen an einem frühlingshaften Tage auf Höhe Portugals. Die Wellen in der Nacht wiegten das Bett diesmal richtig, haben es aber zu gut gemeint. Das Rollen ging stets paar Zentimeter über den Kipp-Punkt hinaus, so dass ich mich anklammerte, um nicht aus dem Bett zu fallen. Die Amplitude war aber so groß, dass ich zwischendurch oft einschlief – und erneut im Klammermodus erwachte ≈ Morgen werden wir durch die Meerenge von Gibraltar fahren und in Algeciras einen zusätzlichen Stopp einlegen. Ob aus diesem Grund oder wegen Verzögerungen durch den Sturm – unser Schiff „rast“ mit 21,5 Knoten dahin, sonst sind es ca. 18 Knoten. Allerdings können wir das oben auf der Brücke nur ablesen, schätzen können wir es nicht…
13.11.
Gleißend schönes Wetter, Frühstück in offener Tür. Mehr als 22 Knoten! ≈ Gibraltar ist wirklich ein markanter Felsen mit Kanonen und allem Drum-und-Dran. ≈ Der Kapitän hat Zeit für einen Schwatz zwischendurch: Er ist zwei Monate hintereinander auf See, die französischen Offiziere drei, die philippinischen sechs und die Crew neun Monate. „Sklavenarbeit“ nannte er das. Die philippinische Mannschaft scheint es mit Humor zu nehmen. Alle lachen gerne und wir lachen bei fast jeder Begegnung mit ihnen.
14.11.
Bei der Ausfahrt aus der Bucht unseren ersten Delphin dicht am Schiff gesehen ≈ In Algeciras hat es länger gedauert, aus dem geplanten halben Tag wurde fast ein ganzer. Schiff ist rappelvoll, von oben sieht es zum Heck hin wie eine fussballfeldgroße, bunte Ebene aus, auch nach vorne sind fast alle Lücken gefüllt.
15.11.
Morgens die algerische Küste zum Greifen nahe. Nach einigem Rechnen werden es aber doch mehr als 10 km sein. Wir sehen Ortschaften, bei entsprechenden Lichtverhältnissen auch, wie hoch die Brandung ist, die an die Küste donnert. Sehr bergig, bezaubernd. Mit den Maßstäben ist es schwierig, wir müssen ständig rechnen, erinnern, vergleichen. Gefühlt würde ich sagen: die Küste ist 3 km entfernt und wir sitzen 10 Meter hoch – dabei sind es mindestens 50 Meter über dem Meeresspiegel.
16.11.
Vormittags angeseilte Männer, die an einem Kühlcontainer unter uns reparierten – alpiner Stil. ≈ Nachts erste Zeitumstellung. ≈ Kleine, schlaue Vögel reisen mit. Singvögel, Rotschwänzchen? Sehr quirlig, Künstler im Insektenfangen, ja auch die gibt es ≈ Von Sizilien waren nachts nur einige Lichter zu sehen. Der Ätna spuckte ausgerechnet heute leider nicht. Um 22 Uhr sahen wir auf der Brücke das Schauspiel eines geteilten Himmels. Auf der italienischen Seite Sternenpracht, auf der afrikanischen dunkle Wolken aus denen es blitzte.
17.11.
Gleich eine Führung durch den Maschinenraum. ≈ Danach: eindrucksvoll riesig, grandios laut (Ohrstöpsel in Sonderedition!), geheimnisvoll. Lothar fotografiert, erst hinterher können wir mit dem Kadett anhand der Fotos sprechen: Turbinen, Dampf, Zylinder, Frischwasser, Meerwasser, wiedergewinnen, reinigen, verdichten, erwärmen, kühlen, Zylinderkopfdichtungen, Öl wie Nutella… Nach meiner Rechnung ist der Maschinenraum ca. 30-35 Meter hoch (habe Stufen gezählt, 88 bis zum Unterdeck)! ≈ Insgesamt ein Wunderwerk der Ingenieurskunst; ich war sowieso schon voller Hochachtung, nun erst recht. Bei diesem modernen Schiff ist alles auf Ausnutzung der Energie bedacht. Bei 18 Knoten fährt es am günstigsten, 22 oder 24 Knoten kann es auch, dann ist der Verbrauch natürlich deutlich höher. ≈ 15.500 Container haben wir an Bord, pro Tag ca. 150 Tonnen Öl Verbrauch, umgerechnet auf Lastwagen ist das unschlagbar! Wenn ich richtig rechne, dann sind das ~10 Liter Öl pro Container am Tag. An einem Tag schaffen wir ca. 500 Kilometer, also pro 100 km ein Verbrauch von 2 Liter. Die Mannschaft besteht aus 29 Personen, pro Container also 0,0019 Mann. ≈
Kein Land, kein Schiff, kein einziges, Wasser ruhig, Himmel bewegter. Wir sind allein auf der Welt. ≈ Am Bug gewesen, herrlich dort, sonnig und schattig, gut zu sitzen, zu schauen und SEHR leise.
18.11.
Aufgewacht bei spiegelglatter See auf der Höhe Ägyptens. Wasser, Luft und Himmel sind grau in allen Abstufungen. ≈ Das beste ist das Frühstücken: entweder in der offenen Tür unserer Kabine oder auf dem Balkon. Es gibt nichts Schöneres, als beim Müsli aufs Wasser zu schauen. ≈ Heute werden wir uns am Suezkanal anstellen und morgen früh hineinfahren.
19.11.
Ab 7 Uhr beginnt die Einfahrt in den Suezkanal. Port Said in malerischem Dunst: Morgennebel plus Verbrennen von Müll, wie die Nase signalisierte. Bis zum Ufer sind es ca. 100 Meter, so haben wir das reinste Sightseeing. Steuerbord ist es dicht besiedeltes und industrielles Ägypten, Züge rattern mit Höllenlärm vorbei. Strommasten, Felder, irgendwelche Anlagen, in den Städten deutlich sichtbar auch umzäunte bessere Wohnviertel. Kormorane, Gänse auf der Rast. ≈ Backbord die Wüste in allen Schattierungen, mit und ohne Dünen, gelegentlich Oasen, aber vorzugsweise Wüste. Und einige Militärposten. Mich rührt bei einem dieser Posten ein mit großen Steinen gelegtes „Welcome to Egypt“. ≈
Beim letzten Tageslicht gleiten wir an Suez vorbei. Genau zur Zeit der Abendgebetes, die Muezzinrufe wehen zum Schiff herüber. Nun sind wir im Roten Meer, und jetzt sind wir wirklich in der Fremde!
20.11.
Aufgewacht mitten im Roten Meer, den Sinai verpasst. Morgens um 7 Uhr sind es schon 25 Grad im Schatten. ≈ Das Rote Meer verdampft. Der Dunst hat etwas Einhüllendes, Bergendes ≈ Höhe Sudan, in der Nacht die Uhr vorstellen. ≈ Isoliert vom Rest der Welt auf unserem (T)Raumschiff durch die Zeit. ≈ Piratenüberfall-Übung: Im Bauch des Schiffes gibt es einen Safe-Room, in dem für uns alle Wasser und Nahrung für mindestens eine Woche ist. Und eine Dusche – dachte ich… Als ich fragte, lachten alle: hinter dem Vorhang waren nur Toiletteneimer ≈ Und Abends wetterleuchtet es an den Küsten.
21.11.
Auf Höhe Übergang Sudan-Eritrea aufgewacht, ca. 28 Grad um 8 Uhr, Wind recht stark, Gischt, blaues Wasser, sonst nichts. Gerade mal einen Tanker in weiter Ferne ausgemacht ≈ Mir machen die Länder, an denen wir so luxuriös vorbeifahren, zu schaffen: Sudan, Eritrea. Denke nach über Gier, Sicherheitswünsche, die Zukunft, was ist zu lassen, was zu verstärken, was brauche ich wirklich? ≈ Gestern in vollkommener Dunkelheit noch allein auf unserem Balkon gesessen und seltsame Gefühle bekommen: Schauder vor der Nacht, der Schwärze. Heute beim Frühstück und dem Blick aufs ewig leere Meer seltsame Anwandlungen von HORROR VACUI
22.11.
Beim Erwachen gegen 7.30 Uhr Land in Sicht, sind auf Höhe des Übergangs von Eritrea zu Dschibuti. Je näher wir der Meerenge kommen, desto „norwegischer“ sieht es aus, immer mehr kleine Felseninseln zeigen sich, unbewohnt. Die jemenitische Seite ist weicher, im Hinterland eine beeindruckende Bergsilhouetten. In Malis Hinterland Tafelberge ≈ Containerschiffe und Öltanker drängen sich durch die Meerenge. Dazu ein starker Wind, zehrend, quälend, anstrengend. Die Außentreppen sind gefährlich glitschig von einem Gemisch aus Salz, Sand und Feuchtigkeit. ≈ Mittags im Golf von Aden. Von der Brücke aus sehen wir auf der Backbordseite zwei unterschiedliche Wasserfarben, das Dunkelblau des Roten Meeres und zur jemenitischen Küste hin – wie mit dem Lineal gezogen – das deutlich hellere Wasser aus dem Indischen Ozean. ≈ Das Fehlen von Fischerbooten und Zeichen einheimischer Besiedlung ist gespenstisch. ≈ Auf der Brücke liegen vier kugelsichere Westen griffbereit. Ansonsten sind die Jungs dort oben gelassen wir immer.
23.11.
Während meiner morgendlichen Frühstücksmeditation über Leere und zu viel Horizont sehe ich plötzlich ein schnelle Bewegung im Wasser, denke „endlich ein großer Fisch“ springe zum Fernglas: ein Schnellboot, das Runden dreht, mehr als 100 km von der jemenitischen Küste entfernt, von der somalischen mindestens 300 km. Bad boys? Später frage ich auf der Brücke einen Officer, der grinst und sagt: „ein Fischerboot“, jedenfalls war das Boot so deklariert. Welche Fischer in diesem Tempo Fische fangen, möchte ich gerne wissen ≈ Wieder die Uhr eine Stunde vorgestellt. ≈ Horizont bis zum Abwinken. Irgendwann ist auch mal genug mit Horizonterweiterung! ≈ Dann passiert doch noch was: Plötzlich in der Ferne eine Gischtwelle, etwas schwarzes Langes, eine Wasserfontäne – ein echter Wal! Lothar gelingt ein verwackeltes Beweisfoto. Später sieht er einen großen Fisch dicht am Schiff, während er nach der Kamera greift, schaue ich auf quasi kochendes Wasser mit 6 oder 8 dreieckigen Flossen, schon ist die Szene vorbei. Eine Hai-Schlacht, diesmal ohne Beweisfoto.
24.11.
Aufgewacht bei regnerischen Wetter parallel zur Küste Omans. Beim ersten Schritt vor die Tür fast weggeflogen. Sturm in meinem Kaffeebecher! Die Windstärke steht in keinem Verhältnis zum Wellengang. ≈ Gestern Abend sagte uns der Kapitän, dass wir wahrscheinlich in Khor Fakkan an Land gehen könnten, er würde uns Pässe besorgen. ≈ Überschriften für den Film könnten auch sein: „Nowhere Something“ oder „Lost on the Ocean“ oder „Bloddy Horizon“ ≈ Dafür höre ich inzwischen im Motorengeräusch Obertöne wie bei einer mächtigen Orgel!
25.11.
Wieder schönes Wetter und sonst nichts. Einziges Ereignis sind am späten Vormittag gleich zwei Öltanker, die uns entgegenkommen. ≈ Pünktlich um 20 Uhr in Khor Fakkan gelandet: eine Bucht, dicht umschlossen von einer Bergkette, ähnlich wie Algaciras, nur diesmal sind es Wüstenberge, kein Hälmchen Grün. Khor Fakkan ist ein bescheidenes Städtchen direkt am Hafen. Also morgen keine weiten Wege in die Stadt.
26.11.
Landgang. Nervosität. Aber alles bestens organisiert. Der Agent holte uns ab, freundlich, spricht gut englisch. Die Formalitäten sind einerseits umständlich, andererseits lasch. Lasch, weil er mit uns an jeder Sperre durchgewunken wird. Umständlich die Prozedur im Emigration-Department: intensive Beschäftigung mit unseren Pässen, Gesichtskontrolle, Stempel, zurück zum Checkpoint, handschriftliche Eintragung aller Details unserer Pässe in ein Buch, Unterschriften. Auf dem Rückweg wieder beide Stationen, nur etwas schneller. ≈ Khor Fakkan ist die unspektakuläre Rückseite Dubais. Nur neue Gebäude. Der lange Strand ohne Menschen. Am Ende des öffentlichen Strandes ein Luxushotel mit abgesperrtem Strand, dort viele europäisch Badegewandete im Wasser. Auf der anderen Seite der großen Straße ein Park, dort Kindergruppen bei sportlicher Ertüchtigung mit westlicher Musik und Hula-Hop-Reifen ≈ Lange Suche nach einem Supermarkt. Schließlich fanden wir eine Art gigantischen Woolworth. Haben Süßes als Mitbringsel für unsere Crew gekauft, ich paar brave arabische Schlüpper (es gab im Sortiment auch weniger brave!). Mehr brauchten wir nicht, an Bord werden wir schließlich bestens versorgt ≈
Zum Glück fiel Lothar auf dem Rückweg noch ein Schild auf, das den Eingang zum ursprünglichen Dorf bezeichnete. Dort entstehen gerade Nachbauten der alten Fischerhäuser. Zwei Männer aus Sansibar ließen sich bei ihrer Restaurierungsarbeit gerne stören. Sie waren sehr zufrieden mit ihrer schönen Aufgabe und sonst auch.
27.11.
Bei der Ausfahrt sehen wir hunderte Öltanker auf der Anfahrt bzw. in Warteposition. Der Kapitän erzählt Lothar, dass die z.T. bis zu einem Monat oder länger vor dem großen Ölhafen warten müssen, bis sie dran oder die Ölpreise günstig sind. Auf jeden Fall begreift man bei einem Horizont voller Tanker das Ölgeschäft etwas besser! ≈ Am Mittag eine Überraschung in Form eines Kreuzfahrtschiffes. Eben, am Abend, haben wir es in der Ferne von der Brücke anhand seiner Lichterpracht wieder ausgemacht und nachsehen lassen, wie es heißt: Chrystal Symphonie. Frachtschiffe sind nachts ganz dunkel – damit man von der Brücke in der Dunkelheit etwas sehen kann. ≈ Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass wir hiermit aufhören…
28.11.
Erwacht mitten im Arabischen Meer/ Indischen Ozean. Himmel wolkenlos, Meer nahezu wellenlos, Vormittags das Ereignis des Tages: ein Tanker fährt an uns von Süd nach Nord vorbei, während wir von Nord nach Süd fahren ≈ Unendliche Weite, nichts deutet darauf hin, dass es hinter dem Horizont etwas anderes geben könnte ≈ „Drills in the afternoon“ stand mittags an der Info-Tafel. Um 15 Uhr gehen wir zum Bug, ich sehe eine schnelle Wasserbewegung, vermute Delphine, die schräg vor dem Schiff entlangschwimmen, kann sie aber nicht recht ausmachen. Vorne angekommen, kapierte Lothar am schnellsten: Die Jules Verne dreht sich auf der Stelle oder jedenfalls in engstmöglichem Bogen. Die Sonne eilt, die Schatten rasen: Das also war einer der „Drills“. Später auch Rettungsbootübungen vor unserem Balkon. ≈ Bei Sonnenuntergang dann wirklich eine Gruppe Delphine gesehen – leider recht weit weg, unser Frachtschiffungetüm verscheucht sie.
29.11.
Sehr viel Müll: Plastik, Kanister, Fischernetze, immer wieder. ≈ Den ganzen Tag kein anderes Schiff gesehen. Dafür jede Menge fliegender Fische! ≈ „Bad weather will be expected tomorrow“ steht an der Tafel. Bis zum Sonnenuntergang wird daran gearbeitet, die Container zu sichern. Mal sehen, was morgen kommt
30.11.
Wieder die Uhr vorgestellt. ≈ Tag X, der mit dem schlechten Wetter: nichts Spektakuläres bisher passiert (18.00 Uhr). Es ist drückend und gespenstisch ruhig den ganzen Tag. Am Nachmittag im Dunst ein Öltanker. Wir fahren wegen des Sturms eine veränderte Route und verstecken uns hinter den Malediven. Auf unserer Speisekarte stand die Vorwarnung: „Stroll in to the Maldivien tomorrow“ – sie nehmen das Unwetter ernst. Andererseits herrscht wie immer eine ruhige Routine auf dem Schiff.
1.12.
Vor 8.00 Uhr aufgewacht, da waren wir noch dabei, durch die Malediven zu „strollen“, aber im Dunst-Regen-Nebel ist keine Insel zu sehen. ≈ Um 9.30 Uhr kommen wir hinter der Inselgruppe hervor und gleich frischt der Wind angenehm auf. ≈ Die Aussage des philippinischen Offiziers auf der Brücke: Der eine Sturm ist umgangen, der nächste kommt ≈ Warum ist durchgehend gutes Wetter langweilig? Da „passiert ja nichts“… Warum wollen wir, dass „etwas passiert“? Jetzt beginnt das Schiff zu schwanken – hurra! ≈ Wir eilen mit gut 20 Knoten unserem Ziel entgegen.
2.12.
Wieder die Uhr eine Stunde vorgestellt. Morgens beim Aufwachen fast an Sri Lanka vorbei. ≈ Am Abend, in der Nacht heftige Wellenbewegungen. Abends haben wir zum ersten Mal auf dem Schiff einen Whisky getrunken – da schlittert plötzlich eines der Whiskygläser gefolgt von einer großen, aufrecht stehenden Wasserflasche flott den Tisch hinunter: elegant in den Abgrund.
3.12.
Nieselregen um 8.00 Uhr und nur 27 Grad. Meer ruhig. ≈ Ich sitze auf meinem „Feldherrenhügel“ (die Rücklehne unserer stabilen Bank auf dem Balkon), frühstücke und denke, dass ich mich noch lange nicht satt gesehen habe am Meer. Übermorgen werden wir in Port Klang ankommen und von Bord gehen. Hier haben wir unser schwimmendes Zuhause und immer die selben Menschen, Wasser, Himmel, paar Häfen. Sehr reduziert. In Asien wird alles auf uns einprasseln. ≈ Mir kommen unsere tierischen Mitreisenden in den Sinn: Der Schmetterling, die Libelle, der Falke, die kleinen Singvögel – alle schnappen sich das Schiff als Heimat auf Zeit, dann lösen sie sich und suchen etwas anderes. Sehr riskant. Sie wissen nicht, ob es gelingt
4.12.
Letzter Tag auf See. Um uns herum Schiffe. Auch zunehmend kleine Fischerboote. Vormittags feucht schwül, um 18 Uhr knallheiß und sonnig ≈ Viele Bäume an der Küste Sumatras ≈ Bisschen wehmütig, diese schöne Reise zu beenden. Die Zeit ist im wahrsten Sinne der Wortes verflossen.
05.12.
Lange vor Sonnenaufgang aufgestanden und vom Balkon unseren Zielhafen begrüßt. Dann backbord geschaut, dort ist mehr Natur als Metall. Ich brauche lange, um zu begreifen, dass das „Schilf“, das ich sehe, Mangrovenwälder sind. Da es noch Stunden dauern wird, ehe wir vom Schiff dürfen, frühstücken wir auf der Mangrovenseite ≈ Schon um 7 Uhr extrem heiß und schwül. Wir sehen einen Arbeiter ungeschützt auf den Containern herumlaufen und Dinge tun, die uns verrückt erscheinen: Er geht vorsichtig ganz an den Rand der Containertürme und löst mit einer 4 m langen Stange die Verbindungen zwischen den Containern unter sich. So kann der Kran deutlich schneller ausladen. Wir sind fassungslos über das Risiko, dem er ausgesetzt ist. Als er uns sieht, macht er uns Zeichen, dass er Durst hat. Wir werfen ihm eine Flasche Wasser hinüber. Das sind die letzten Minuten unserer Ankunft in Asien und in der Realität.
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