Begegnung in Victoria Falls mit dem Nationaltrainer der Rollstuhl Basketballmannschaft
Walter Ndlovu ist Zimbabwes erfolgreicher Nationaltrainer im Rollstuhl Basketball und er hat große Pläne: Er möchte Coach für Rollstuhl Rugby werden, möchte in Victoria Falls eine Werkstatt zum Bau von Rollstühlen gründen und noch viel mehr. Er selbst ist 50 Jahre alt, erkrankte in früher Kindheit an Polio und kann seitdem nur mit Mühe kurze Strecken gehen. Für größere Entfernungen braucht er ebenfalls einen Rollstuhl.
Nicht ohne Stolz erzählte er uns, dass das Frauen Nationalteam Zimbabwes mit ihm als Trainer im IWBF (International Wheelchair Basketball Federation) World Cup immerhin viertes von 8 Teams wurde und das „Under 23“-Frauenteam eine Bronzemedaille gewann. Walter ist ein Gründungsmitglied der Rollstuhl Basketballmannschaft „Victoria Falls Wheelchair Warriors“. Er gestand, dass er zur Finanzierung des Buses für die Reise zu einem Wettkampf seinen Kühlschrank verkauft hat. Das erzählte er ganz nüchtern, während wir in sengender Hitze neben seinem kleinen Häuschen saßen. Walter und einige Spieler aus seinem Nationalteam möchten vom Basketball zum Rugby wechseln, weil sie sich den Basketball einfach nicht mehr leisten können, da die Regierung sie nach den schwierigen Jahren nicht unterstützen kann. „Man muss dranbleiben und an den internationalen Wettkämpfen teilnehmen, sonst wird man für Jahre gesperrt und muss dann eine empfindliche Strafe zahlen, um wieder teilnehmen zu können. An Rugby gibt es hier im südlichen Afrika einfach mehr Interesse.“
Zwar ist Walter gehbehindert, aber er hielt während unseres Gesprächs von über 90 Minuten Dauer nie still, er zeigte unbändigen Willen noch sehr vieles zu erreichen und war voller Ungeduld endlich mit den Projekten weiter zu kommen, die ihm vorschweben, und die ein Gewinn für die ganze Gemeinschaft wären.
Als ich ihn fragte, welches Projekt denn für ihn Priorität habe, fiel es ihm sichtlich schwer eine Reihenfolge aufzuzählen. Nach einiger Überlegung, meinte er, als erstes möchte er junge Leute in die Lehre schicken, die dann zurück kämen und Rollstühle bauen könnten. Die Sportler bräuchten nämlich richtige Rollstühle. Er erklärte uns, dass seine Teammitglieder sowohl für die Fortbewegung, als auch für den Sport dieselben Rollstühle verwenden müssen, die aufgrund dessen erstens nicht lange halten und zweitens eigentlich nicht für den Sport geeignet sind. Sie sind zu langsam, nicht wendig genug und, weil die Räder senkrecht angeordnet sind und nicht ausgestellt, kippen die Rollstühle leicht um wenn man, wie so oft in einem hitzigen Wettkampf, angerempelt wird. Widerstrebend meint er, seine Teams müssten als erstes Rollstühle haben, wenigstens Gebrauchte. Er stand auf und hob eine Wellblech-Platte hoch, unter der ein Wust von alten Rollstuhl-Rahmen und Reifen gestapelt war. Es fiel mir schwer zu glauben, dass man mit dem was wir als Schrott bezeichnen würden, noch ein paar hundert Meter fahren könnte, geschweige denn einen Wettkampf bestreiten. Aber genau das müssen die Sportler tun, denn sie haben keine andere Wahl.
Walters Traum ist es jedoch, eine eigene Rollstuhlproduktion aufzubauen, genau dort, hinter seinem 2-Zimmer Häuschen, auf dem großen Grundstück, das die Stadt Victoria Falls auf sein Betreiben hin den Behinderten des Ortes zur Verfügung gestellt hat. Er möchte, dass dort ein Wohnblock entsteht, in dem die Behinderten als Einkommensquelle Wohnungen vermieten können. Unten im Haus sollen dann ein Spielfeld mit Umkleidekabinen und die Rollstuhlwerkstatt entstehen. Er möchte junge Leute aus dem Ort zur Ausbildung wegschicken, die dann hier in der Werkstatt Rollstühle bauen.
„Wie läuft das denn bislang ab, wenn jemand einen Rollstuhl braucht?“ Fragte ich Walter. Er erklärte mir, dass die nächste Rollstuhlwerkstatt in Südafrika sei. Alle, die einen Rollstuhl bräuchten, müssten also nach Südafrika reisen, würden dort vermessen, dort würde der Stuhl dann auch gebaut und nach Zimbabwe verfrachtet. „Für uns Rollstuhlfahrer ist es meist nicht bezahlbar, so ein Sportrollstuhl kostet etwa 3500 bis 3700 US$ “ sagte er und fügte sachlich hinzu, „als Behinderter ist man in diesem Land am stärksten benachteiligt. Doch wenn wir hier selbst Rollstühle produzieren könnten, wäre das eine ganz andere Sache. Wir könnten durch die Wohnungen und die Rollstuhlkonstruktion eine Einkommensquelle schaffen und uns selbst helfen. Und es sind nicht nur Rollstühle, die wir brauchen. Auch Krücken und Beinschienen werden gebraucht.“ Wiederum verschwand er in seinem Haus und kam zurück mit einer schweren Schiene aus Stahl, gepolstert mit fadenscheinigem Stoff. „Als diese Schiene noch in Ordnung war, konnte ich damit ziemlich weit laufen. Jetzt ist sie aber wirklich kaputt.“ Ich wunderte mich, wie er überhaupt jemals mit dieser schweren und unhandlich aussehenden Schiene hatte gehen können.
Er grinste verschmitzt und meinte, „Schau mal, wenn ich Dich jetzt um Geld anhaue und Du gibst mir etwas, dann geht es mir heute und vielleicht morgen gut. Aber dann ist das Geld weg, und was ist dann mit der Zukunft? Was ist mit meiner Familie, mit meinen Kindern? Nein, besser ist es doch, wir finden Unterstützung um uns selbst zu helfen und etwas Dauerhaftes zuwege zu bringen, das weiter besteht und der Gemeinschaft auch dann noch hilft wenn ich tot bin.“
Für uns erscheint es übertrieben dramatisch wenn ein Fünfzigjähriger von seinem Tod spricht, aber in einem Land, in dem die durchschnittliche Lebenserwartung unter 50 Jahren liegt, ist dieser Gedanke nicht so abwegig.
Wieder stand Walter auf und führte uns um sein Häuschen herum auf das noch größtenteils freie Grundstück, zeigte mit ausladenden Gesten, wie er sich das Gebäude und die darin liegenden Einrichtungen vorstellt.
Nachdem wir zu seinem Haus zurückgekehrt waren, begann er von einer weiteren Aufgabe zu erzählen, die er sich vorgenommen hat. Zusätzlich zu seiner Qualifikation als Rollstuhl-Basketballtrainer ist er auch noch Fußballtrainer und greift mit seiner Erfahrung dem örtlichen Coach unter die Arme. Walter fragte, ob er uns den Fußballcoach und ein paar seiner Schützlinge vorstellen dürfe. Eilig wurde Ndoga, der Coach, herbeigerufen. Zu unserem Erstaunen brachte er nicht nur Jungen sondern auch Mädchen mit.
Ndoga erzählte, dass er neben seiner Arbeit die Jungen eines Zweitligavereins zu trainieren, eine Mädchen-Mannschaft aufgebaut hat, um die Jugendlichen von der Straße zu holen und ihnen ein Ziel, einen Fokus zu geben. „Manche von den Kindern“ sagte er, „passen in der Schule vielleicht nicht so gut auf. Wir versuchen ihnen im Sport, in einer anderen Umgebung auch Wissen zu vermitteln.
Diese unheilbare Krankheit, HIV, hat viele ihrer Eltern auf dem Gewissen. Die Mädchen sind doch meistens die Opfer von HIV. Sie sollen lernen wie man sich davor schützt und sollen durch den Sport, durch ihren Kontakt mit anderen Teams das Wissen auch weiter geben. Meine Assistentin ist eine Lehrerin, sie hilft mir sehr dabei.“
„Wo trainiert Ihr denn?“ fragte ich. „Einmal in der Woche können wir im Stadion trainieren, den Rest der Zeit benutzen wir einen Sandplatz. Das Stadion neiden uns andere Teams, aber
sie verstehen nicht, dass es Mädchen sind, die können sich doch nicht einfach im Busch umziehen, sie brauchen ihre Privatsphäre. Und alle konzentrieren sich immer auf die Jungen, wir müssen doch auch etwas für die Mädchen tun, ihnen Motivation geben und sie ermutigen! Es wird aber immer besser“ freute er sich, „inzwischen haben wir viele Zuschauer, die uns anfeuern wenn wir hier spielen!“
Die Mädchen sind 13, 14, 15 Jahre alt, äußerlich bereits schöne junge Frauen, innerlich noch schüchterne Kinder. Ndoga erklärte, dass sie in diesem Alter besonders angreifbar seien, besonders für Männer, die ihnen falsche Versprechen machten und sie dann sitzen ließen. Er wollte etwas Besseres für die Mädchen erreichen.
So ganz allmählich tauten die Kinder auf und erzählten selbst etwas von ihren Familienverhältnissen. Amanda, eine der ältesten, spielt im Mittelfeld. Sie erklärte uns, dass sie 2013 die letzte Schulklasse abgeschlossen habe, die Abschlussprüfung aber nicht antreten konnte weil sie kein Geld für die Prüfungsgebühren hatte. Als ich sie fragte, ob sie denn die Prüfung auch später noch einmal antreten könne, antwortete sie, „Das könnte ich, aber erst nächstes Jahr Juni, bis dahin müsste ich weiter Unterricht bekommen und das will meine Familie nicht. Ich lebe bei meiner Tante, mein Vater ist weg und meine Mutter lebt in Johannesburg. Meine Schwester bekommt ein Baby und wenn es geboren ist, muss ich darauf aufpassen.“ Ich fragte sie, was denn ihre Familie dazu sagt, dass sie Fußball spielt. Amanda schüttelte den Kopf und antwortete, „Meine Tante will das nicht, meine Mutter interessiert es nicht. Der Fußball ist meine Hoffnung auf eine Zukunft und mein Talent, doch meine Familie ist sehr dagegen. Wenn ich vom Fußball heimkomme schreien sie mich an, ich soll nicht Fußball trainieren sondern daheim bleiben und dort helfen.“
Chelsea nahm sich ein Herz und sagte, „Meine Tante will auch nicht, dass ich Fußball spiele, aber der Fußball ist doch meine einzige Hoffnung. Mein Vater will mit mir nichts zu tun haben. Nicht einmal wenn ich krank bin fragt er mal nach wie es mir geht, es interessiert ihn nicht. Ich denke, wenn ich richtig gut im Fußball werde, kann ich selbstständig und unabhängig sein. Deswegen liebe ich Fußball, das wird meine Karriere.“ Ihre Stimme verriet ihren Schmerz und ihren Kampf mit den Tränen. Amanda legte tröstend den Arm um ihre Mitspielerin.
„Wir haben keine Fußbälle“ sagten sie, „und Fußballschuhe, Trikots … und Erste Hilfe Ausrüstung. Damit wir trainieren und spielen können.“
„Damit ihr gegen die Jungs gewinnen könnt?“ fragte ich lachend.
„Nein, das schaffen sie nicht!“ Riefen die Jungs kichernd, die nun auch langsam aus sich herauskamen. „Sie spielen gut, die Mädchen“ gab ein Junge namens Pascal zu, „aber gegen uns können sie nicht gewinnen. Wir gehen die Mädchen anfeuern wenn sie spielen.“
Wir möchten Walter und sein Team, Ndoga und die Mädchen herzlich gern unterstützen.
Alle Fotos von Glenn Upton-Fletcher, herzlichen Dank dafür!
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