China Rundreise – das Hängende Kloster am Hengshan in der Provinz Shanxi
Samstag
Genussvoll strecke ich mich im Bett aus, ein weiterer Tag unserer Chinareise beginnt. Heute besuchen wir einen ganz besonderen Ort, das Hängende Kloster am Berg Hengshan. Wie ist das Wetter? Vorsichtig schiebe ich den Vorhang zur Seite und schaue hinaus. Blauer Himmel und die ersten morgendlichen Sonnenstrahlen sind zu sehen. Eingedeckt von unserer gestrigen Erfahrung mit dem kalten Wind kleiden wir uns im Zwiebelsystem so warm an wie möglich. Zum Schluss nehme ich die gestern gekauft Herren-Trainingsjacke über den Arm. „Ob es schon Frühstück gibt?“ überlegt Edith. Es ist jetzt 7ººh und laut Öffnungszeiten sollte dies kein Problem sein.
Im Frühstücksraum ist kaum Betrieb, wir sind eine der Ersten. Doch das Buffet bietet bereits alles. Käse, Butter, warme Gerichte, Getränke, Brot, Salat und frisches Obst. Es ist wirklich für jeden Geschmack etwas da und alles ist liebevoll und dekorativ angerichtet. Zusätzlich sorgt frischer Blumenschmuck für ein schönes und einladendes Bild. Hier ist jemand der festen Ansicht „das Auge isst mit“ und er hat absolut recht.
Kurz vor der verabredeten Zeit sind wir an der Rezeption und beobachten durch das Fenster die Baustelle auf der Straße. Merkwürdig! Da steht die Dame von der Rezeption mit einer Spitzhacke und eine andere Hotelangestellte mit einem Spaten. Sie arbeiten am Straßenbau, die eine in weißer Hose und die andere mit hohen Absätzen. Und ein kleines Stück nach links sind zwei Herren in schwarzen Anzügen am graben, sie gehören ebenfalls zum Garden Hotel. Warum machen die so etwas? Kommt der Bürgermeister zum Mittagessen und das Trottoir muss bis dahin fertig sein? Das Rätsel bleibt ungelöst, denn da kommt bereits unser Fahrer. Sein Name ist Guo Yong und fürsorglich geleitet er uns um die Baustelle zu seinem Auto.
Die Fahrt führt uns hinaus aus der Stadt durch flaches Land mit kerzengerade Straßen. Unterwegs macht uns Guo Yong auf die Landwirtschaft aufmerksam. „Es wird hier vorwiegend Weizen und Hirse angebaut“ erklärt er uns „doch das Leben auf den Dörfer ist sehr hart. Die Menschen die hier leben sind sehr arm.“
Ja, das glaube ich, denn die Häuser sehen absolut nicht nach Wohlstand aus. Alles wirkt ein wenig vernachlässigt, krumm und schief hängen die Gartenzäune am Straßenrand. „Die meisten Menschen in der Provinz Shanxi arbeiten im Kohleabbau“ lässt uns unser Fahrer wissen. „Es wird in dieser Region etwa ein Drittel des gesamten Kohlevorkommens von China gewonnen.“ Inzwischen haben wir die Ebene verlassen und kommen zu den ersten Hügeln. „Soll ich mal anhalten?“ fragt uns Guo Yong „Dann könnt ihr so ein typisches Dorf fotografieren.“ Viel zu sehen und fotografieren gibt es hier zwar nicht, aber höflichkeitshalber sage ich ja. Ich möchte ja nicht desinteressiert wirken. Kaum sind wir jedoch ausgestiegen und haben die ersten Fotos der Lehmhütten geschossen, kommen zwei Frauen mit Kinder auf der anderen Seite den Hügels herab geklettert. Sie bieten handgearbeitete Schlüsselanhänger, Armbändchen aus gelb-rotem Stoff und mit Glasperlen verzierte Minipuppen an. Deshalb also der Stopp. Die Frauen liegen auf der Lauer und der Fahrer schlägt einen kurzen Halt vor. So ein Schlitzohr! Anderseits müssen diese Familien auch leben, daher handle ich der Form halber den Preis ein wenig hinunter und decke ich mich hier mit einigen Schlüsselanhängern ein.
Kurz darauf haben wir unser Ziel erreicht. Das hängende Kloster!
Gebaut wurde es im 6. Jahrhundert , liegt in dem Gebirge Hengshan und klebt in ca. 30 Metern Höhe an der Felswand. Im Kloster befinden sich 40 kleine Hallen und Pavillons, die durch schmale Gänge und Treppen miteinander verbunden sind. Das Gebäude ist mit Holzträgern gestützt und wenn ich es so von unten betrachte stelle ich mir eine Frage: Wer kommt auf die Idee ein Kloster an eine Felswand zu bauen?
Das „Wer“ konnte ich nirgendwo nachlesen, doch die Verwirklichung übernahm ein Baumeister namens Zhang. Ob außer ihm noch jemand wirklich an ein Gelingen dieser Aufgabe glaubte?
Die einzelnen Teile wurden, laut Wikipedia, am Fuß des Felsen vorgefertigt. Anschließend transportierte man sie auf den Gipfel und ließ sie von dort herunter. Die Bauarbeiter hingen an Seilen und mussten mit einer Schleife um Hüfte und Füßen in dieser Höhe das Kloster an der Felswand anbringen.
Seit 1982 steht das Kloster auf der Liste der Denkmäler der Volksrepublik China.
Doch nun möchten wir das Kloster auch von innen sehen. Es geht über eine Brücke, anschließend den Hang hinauf und danach kommen Treppen bis zum Eingang.
Im Inneren führen Holztreppen nach oben und wir beginnen unseren Rundgang durch das schmale Holzgebäude. Es ist in den engen Durchgängen immer nur Platz für eine Person, überholen ist so gut wie unmöglich. Gegenverkehr? Daran ist überhaupt nicht zu denken. Wer mit dem Rundgang begonnen hat, der muss da durch bis zum Ende. Insgesamt soll es hier 40 winzige Hallen und Pavillons geben, wobei die natürlichen Aushöhlungen in der Felswand genutzt wurden. Treppen, schmale Durchgänge und Stege verbinden die einzelnen Pavillons mit ihren schmuckvoll verzierten Giebeln.
In diesen Hallen sind ca. 80 verschiedene Statuen untergebracht. Ich zähle nicht nach, sondern bewundere vorwiegend die Aussicht. Die Holzstufen in den Klostergängen sind oft sehr steil, es ist mehr eine Kletterei als ein Treppen steigen. Doch es lohnt sich, es ist ein wirklich besonders Erlebnis. Ich schaue nach links aus einem Fenster und staune.
Das Gebäude steht inzwischen seit 1.500 Jahren auf diesen relativ dünnen Holzpfählen. Ausgetauscht wurden bisher nur einige der hölzernen Bodendielen, der Rest ist original. Erstaunlich, das nach so vielen Jahren nicht größere Schäden an dem Holz zu finden sind. Doch durch seine Lage ist es sicher vor Hochwasser, die leicht überhängende Bergwand schützt vor Schnee und die umliegenden Berge vor Wind. Zudem ist die Luftfeuchtigkeit hier bei Hunyuan, der ca. 5 km entfernten Kreisstadt, sehr gering.
Eine weitere Besonderheit ist, dass die Klosteranlage von drei verschiedenen Religionen zur gleichen Zeit genutzt wurde. Der Buddhismus, Daoismus und der Konfuzianismus hatten hier ihren Platz nebeneinander. Das Kloster wurde bis ins Jahr 1985 von Mönchen bewohnt.
In dieser hoch am Berg klebenden Anlage fühlen wir uns fast wie ein Adler in seinem Horst. Allerdings ein sehr bevölkerter Horst, denn wir sind nicht die einzigen Besucher. Doch jeder nimmt Rücksicht, lässt dem Vordermann Zeit sich die engen Stufen hinauf zu hangeln und wartet geduldig bis der beste Standplatz zum fotografieren wieder frei ist.
Wir sind inzwischen am Ende der Besichtigungstour und verlassen das Kloster. Nun noch die Treppen hinunter und kurz darauf stehen wir wieder am Eingang. Hier hält bereits Guo Yong nach uns Ausschau. Er braucht gar nicht zu fragen ob es uns gefallen hat, unsere begeisterten Gesichter sagen es ihm auch so.
Eigentlich wollten wir nun direkt zu den Yungang- Höhlentempeln fahren, doch Guo Yong macht uns einen anderen Vorschlag. „Möchtet ihr nicht die Hölzerne Pagode sehen? Es ist nicht weit, ein halbe Stunde zu fahren und es kostet nur 20 Euro mehr.“ Ich habe darüber gelesen, sie ist mit fast 70 Metern die höchste und älteste buddhistische Holzpagode und stammt aus dem 11. Jahrhundert. Wenn wir schon da sind, warum nicht? Ein halbe Stunde, das ist kein Problem.
Es ist dann doch weiter, wir brauchen fast eine Stunde bis wir in dem Ort ankommen. Auch hier wird, genau wie in Datong, gebaut. Die Straßen sind aufgerissen, neue Rohre werden verlegt und alles ist voller Staub. Doch die bereits fertigen Gassen sind mit roten Lampions geschmückt und die Fußwege werden durch große Blumenkübel verschönert. Guo Yong kann uns wegen der Baustelle nicht bis direkt vor die Pagode fahren, doch wir gehen gerne ein paar Schritte zu Fuss.
Die Sonne wärmt, es ist windstill und der Himmel strahlt in einem kräftigen Blau. Es ist mir noch nicht klar, doch ich werde in unserem restlichen Urlaub in China keinen so blauen Himmel mehr finden.
Nach einigen Minuten haben wir unser Ziel erreicht, die Pagode ist nicht zu übersehen. Hoch ragt sie über die umliegenden Häuser. Wir kaufen uns die Eintrittskarten und betreten die Anlage. In der Pagode selbst ist nur das Erdgeschoss zu besichtigen in dem einige buddhistische Figuren sind. Das Licht ist halbdunkel und die Umgebung schwer zu erkennen. Doch auch hier scheinen Renovierungsarbeiten durchgeführt zu werden. In dem wenigen hereinfallenden Sonnenlicht schweben kleine Staubpartikel.
Der Ausgang ist auf der Rückseite und damit ist die Besichtigung der Holzpagode beendet. Doch in der Anlage befinden sich noch zwei Tempel, die wir besuchen. Offiziell ist hier fotografieren verboten, doch Edith lässt sich nicht vom knipsen abhalten. Sie behauptet fest, das Schild nicht gesehen zu haben. Vielleicht stimmt´s ja! ? !
Als wir unseren Besuch beenden und die Straße erreichen steht dort Guo Yong. Er hat eine Möglichkeit gefunden mit dem Auto ein wenig näher zu kommen, so brauchen wir nicht über die staubige Straße spazieren. „Wir können auch noch einen kleinen Umweg machen“ schlägt Guo Yong vor. „Der heilige Berg Wutaishan, das ist nur ein kleiner Umweg von einer halben Stunde.“ Also das mit der halben Stunde glaube ich nun nicht mehr unbesehen, da schaue ich lieber auf der Landkarte nach. Interessant ist es schon, ich habe über die Fünf -Terrassen-Berge gelesen. Der Wutaishan diente bis in das 20. Jahrhundert den Mongolen als ein höchst-verehrter Begräbnisort. Von den einst hunderten von Tempeln sind heute noch 45 zu besichtigen. Alleine die Anlage des Xiantong- Tempels umfasst 400 Gebäude und eines der 5 großen Zen-Klöster dieses heiligen Berges. Doch es ist zu weit entfernt, wir haben dann gar nicht die Zeit uns alles anzusehen. Das muss bis zur nächsten Reise warten, dann nehmen wir uns einen ganzen Tag Zeit für diese Anlagen. Für heute bleiben wir bei unserem Plan und fahren nun zurück in Richtung Datong und den Höhlentempeln von Yungang.
Kurz vor Ankunft an den Höhlen macht uns Guo Yong auf ein großes Gebäude aufmerksam. „Das ist das Kohlebergwerk“ erzählt er uns. „Die meisten Menschen aus Datong arbeiten hier.“ Ruhig uns still liegt dieses riesige Werk zu unserer Linken und rote chinesische Schriftzeichen stellen vermutlich den Firmennamen dar. Inzwischen ist es später Samstag-Nachmittag und es sieht so aus, als sei das Werk geschlossen. Nichts zu hören und nichts zu sehen, auch kein übermäßiger Autoverkehr, weder in die eine noch in die andere Richtung.
Vor einem großen Tor hält Guo Yong an. „Weiter kann ich nicht fahren“ erklärt er uns. „Ihr müsst dort zu diesem Haus, eure Tickets kaufen und dann bis zu den Höhlen gehen. Falls ihr jedoch müde seid, könnt ihr auch mit Minibussen fahren.“ Wie weit muss man da denn laufen? „Ach, so eine halbe Stunde“ erklärt und Guo Yong. Ob das stimmt? Oder ist es die einzige ihm bekannte Zeitangabe?
Es stimmt mit der halben Stunde! Ich habe Guo Yong unrecht getan. Und wir sind froh, den Weg zu Fuß zu machen. Der Spaziergang führt uns durch eine von Steinsäulen geschmückte Allee bis zu dem Holzbau des Shifogu –Tempels. Es ist das einzige noch erhaltene Kloster bei den Yungang- Höhlen und stammt aus dem Jahre 1652. Wir schlendern durch den großen Innenhof, an dessen Ende die Halle mit dem Altar ist. Große, weiß-rosa-farbige Lotusblumen zieren die steinernen Stufen.
Am anderen Ende verlassen wir das Kloster über eine Brücke und kommen nun zu der Hauptattraktion, die Höhlen. Diese Höhlen stammen aus der Zeit der Toba-Wei (385-534) die den Buddhismus zur Staatsreligion ernannten. Die Grotten wurden erst im Jahre 1903 wieder entdeckt und wurden leider im Laufe der Zeit von Sandstürmen stark erodiert . Aktuell finden an zwei Höhlen Restaurationen statt, die daher leider nicht zu besichtigen sind. Doch was wir zu sehen bekommen ist eindrucksvoll. Buddha-Statuen in Höhen von 11-14 Metern lassen die davor stehenden Menschen winzig klein wirken. Jede Grotte die wir besichtigen, ist ein Kunstwerk für sich. Doch nicht nur Buddha ist hier dargestellt, auch die Götterwelt Indiens ist hier mit Vishnu und Shiva vertreten.
Große Buddhas und kleine Buddhas zieren die Nischen und Felswände von innen und außen. Wie lange hat man an diesen Figuren wohl gearbeitet? Genaues steht hier in meinem Reiseführer nicht, nur, dass die Arbeiten auch nach dem Abzug der Toba -Wei aus Datong fortgeführt wurden.
Es beginnt schon zu dämmern, als wir unsere Besichtigung beenden und uns auf den Rückweg machen. Der Weg zum Ausgang führt durch eine Einkaufsgasse in der Souvenirs, Süßigkeiten und Getränke angeboten werden.
„Guo Yong denkt sicher wir sind verloren gegangen“ erklärt Edith. Und, fürsorglich wie sie ist: „Der hat den ganzen Tag nichts gegessen, er hat bestimmt Hunger.“ Nicht nur Guo Yong, auch wir haben nichts gegessen und so langsam spüre ich ein leeres Gefühl im Magen.
Als wir am Auto ankommen machen wir noch einige Abschiedsfotos und dann chauffiert uns Guo Yong zurück nach Datong.
„Wo ist eigentlich die Neun-Drachen-Wand?“ möchte ich wissen. Denn die habe ich gestern Vormittag trotz meiner Suche nicht finden können, obwohl sie ganz in der Nähe des Hotels sein muss. Guo Yong ist erstaunt: „Ihr habt die Wand nicht gefunden?“ Er macht noch eine extra Runde um den Kreisverkehr, fährt ein kleines Stück die Hauptstraße zurück und hält vor einer unscheinbaren Mauer mit schmalem Eingang. Es sieht aus wie die Tür zu einem Innenhof. Und hier, hinter dieser Tür, ist die Neun-Drachen-Wand versteckt. Kein Wunder, dass ich diese Attraktion nicht gefunden habe. Guo Yong verhandelt mit dem Mann im Kassenhäuschen und wir dürfen trotz der späten Stunde noch hinein um die Wand zu fotografieren. Viel mehr kann man hier auch nicht tun, die Besichtigung ist nach knappen fünf Minuten beendet. Also wer das nicht findet, hat nicht so sehr viel verpasst.
Kurz darauf sind wir im Garden- Hotel und verabschieden uns von Guo Yong. Es war ein langer, wunderschöner Tag und Guo Yong war ein guter Fahrer und Begleiter, der uns überall mit kleinen Tipps versorgt hat. Zum Beispiel, dass Rentner in vielen Parks und Anlagen freien Eintritt haben. Man sollte, so meint Guo Yong, immer nachfragen und den Ausweis zeigen.
Den Tag beschließen wir mit einem Abendessen im Hotel und ein Glas Wein als „Absacker“ an der Hotelbar. Wer weiß ob und wann wir wieder so guten Wein in China bekommen.
Morgen früh geht es schon wieder weiter. Via Peking reisen wir weiter nach Luoyang,
die ehemalige Hauptstadt Chinas. Ich bin schon gespannt auf die vielen neuen Eindrücke dieses neuen Zieles.
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