Das Bernsteinzimmer in Zarskoje Selo
„Aufstehen!” weckt mich Edith fröhlich. “Die Sonne scheint!” Vorsichtig blinzel ich mit den Augen. Tatsächlich, durch das grüne Laub des Baumes sehe ich die ersten morgendlichen Sonnenstrahlen. Ist Ediths Prognose wahr und ab heute haben wir sommerliches Urlaubswetter? Das wäre super! Wie spät ist es denn überhaupt? Sieben Uhr! Na, dann aber los, in zwei Stunden werden wir abgeholt. Es geht heute in den Katharinen Palast in Zarskoje Selo. Ich bin schon ganz gespannt auf das berühmte Bernsteinzimmer, auch wenn es leider nicht mehr das Original ist.
Doch zuerst frühstücken, die Zeit muss sein. Es gibt im Hotel „3MostA“ im obersten Stock ein Restaurant und dort ist das Frühstücksbuffet aufgebaut. Es ist alles vorhanden, was wir uns für ein gutes Frühstück wünschen. Wurst und Käse, Müsli und Yoghurt, Butter mit Marmelade oder Honig und dazu selbst gebackenes Brot neben Croissants und Toastbrot. Auf Wunsch werden in der Küche auch Spiegel- oder Rührei gebacken. Verstehe gar nicht, warum im Internet so daran rum-bekrittelt wurde!
Punkt neun Uhr sind wir an der Rezeption und da steht bereits unsere Taxifahrer. Er stellt sich vor als Artur und führt uns zu seinem Auto. Artur spricht, wie von der Rezeption versprochen, gut englisch und wir bestätigen ihm nochmal unser heutiges Ziel. „Nach Puškin?“ möchte Artur wissen. Im ersten Moment bin ich ein wenig irritiert, doch dann erinnere ich mich, dass dieser Name in Klammern in meinem Reiseführer steht. Sicherheitshalber zeige ich Artur noch ein Bild vom Bernsteinzimmer und nickend wiederholt er „Puškin!“
Unterwegs macht uns Artur auf einige Sehenswürdigkeiten aufmerksam. Eine Kathedrale, eine Universität, ein Theater und dann haben wir St. Petersburg bereits hinter uns gelassen. Die Fahrt dauert ein wenig mehr als eine halbe Stunde und als wir Zarskoje Selo erreichen beginnt Artur mit der Suche nach einem Parkplatz. Er hat Glück, nicht weit vom Eingang kann er das Auto abstellen.
„Ich komme mit“ erklärt uns Artur „und helfe euch beim Ticketkauf. Die Schalter sind gleich hier vorne hinter dem Haus.“
Als wir um die Ecke biegen traue ich meinen Augen nicht. Eine unendliche Menschenschlange steht vor verschiedenen Kassenhäuschen. Wo wird es wohl am schnellsten gehen und welche Reihe ist die kürzeste? Artur zuckt mit den Schultern. „Hier nicht anstellen, da gibt es nur Tickets für den Park“ ist sein Hinweis. Ja , da steht es geschrieben! Wenn man es weiß, kann man das Wort „Park“ auf russisch gut lesen. Wenn man´s weiß!!! „Ahh, sie verkaufen zur Zeit gerade den Eintritt für 13ººh“ kommentiert Artur. „Da bekommt ihr vermutlich die Tickets für 14ººh.“ Wie meint er das? „Siehst du über der Kasse den Hinweis mit der Uhrzeit?“ Ja! Sehe ich! Da steht jetzt 13ººh, richtig. „Es dürfen immer nur eine bestimmt Anzahl Menschen ins Schloss und die Tickets werden im 20 Minuten Takt verkauft.“ Ach je, jetzt ist es noch nicht mal 11ººh. „Siehst du“ erklärt Artur weiter. „Jetzt verkaufen sie schon die Tickets für 13:20h. Aber in der Wartezeit könnt ihr den Park besichtigen.“ Deshalb steht Artur mit uns in der Warteschlange! Dann weiß er genau,wann seine Gäste wieder aus dem Schloss kommen. Doch nicht nur die Eintrittszeit sehe ich. Über der Kasse läuft eine digitale Anzeige und laut dieser werden noch 1.978 Tickets verkauft. Und jetzt noch 1.975……. und das rollt weiter. Wie mein Stromzähler, nur rückwärts.
„Ja“ informiert mich Artur, „es werde heute noch 1.969 Tickets verkauft.“ Erschrocken schaue ich mich um. Bei den Menschenmassen? Da gehen doch sicher viele wieder nach Hause, ohne das Schloss besichtigt zu haben. Artur nickt, kann aber meinen Schrecken nicht ganz verstehen. Er hat es ja auch nicht so weit, wenn er kein Ticket mehr bekommt. Da hätten wir vielleicht besser ein wenig früher aufstehen sollen? Artur nickt und zuckt freundlich lächelnd mit den Schultern. Ich hatte im Internet geschaut, aber keine Möglichkeit gefunden Tickets für das Katharinen-schloss zu kaufen. Also heißt es abwarten und gespannt beobachte ich die digitale Zahlenanzeige. Welch eine Spannung! Besser kann es auch auf der Pferderennbahn nicht sein!
Doch wir haben Glück, es stehen noch über 1.000 Tickets zum Verkauf als wir an der Reihe sind. Artur hat gut geschätzt, unser Eintritt in das Schloss ist um 14ººh und wir haben nun 2 ½ Stunden Zeit um den Park zu besichtigen. „Ich warte hier auf euch“ verabschiedet sich Artur fröhlich, nachdem er uns gezeigt hat wo der Eingang ist.
Am Tor steht eine freundliche Dame, die uns darauf aufmerksam macht, dass wir unbedingt um 14ººh pünktlich am Einlass zum Schloss sein sollen. Ansonsten verfällt die Eintrittskarte.
Wir beginnen mit der Besichtigung des südlich gelegenen Parks. Dort erwartet mich die erste Überraschung. Der Flötenspieler aus meinem Nelle Reiseführer! Da steht er lebensgroß mit seiner Querflöte, wenn ich genau hinsehe einige Jahre älter, doch einwandfrei der Mann aus meinem Buch. Wir bleiben stehen und lauschen der Musik bis er eine Pause einlegt und ich ihm das Bild zeigen kann. Er ist sichtbar überrascht und hat nicht gewusst, dass ein Bild von ihm in einem deutschen Buch zu finden ist. Doch er freut sich, die Seite in meinem Reiseführer wird mit dem Handy geknipst und der Stolz ist ihm anzusehen. Gerne steht er mir Modell und ich bekomme das gleiche Foto wie im Buch. Einige Fältchen mehr, aber die Frisur ist noch die gleiche.
Wir starten unseren Rundgang indem wir uns nach links wenden, nicht ohne jedoch vorher das Katharinen schloss aus den verschiedensten Blickwinkeln zu fotografieren.
Mit der Kamera und danach mit dem Handy, schließlich müssen ja die ersten Bilder schon mal per whatsup versendet werden.
Das Gelände der späteren Sommerresidenz befand sich ursprünglich im Besitz von Menschikov, einem Günstling von Zar Peter I. Ob dies so wünschenswert war ist fraglich, denn Menschikov wurde angeblich gezwungen diese Ländereien an Katharina I zu übereignen. Diese legte noch vor ihrer Thronbesteigung einen Kranz von Dörfern an und errichtete ein steinernes Palais. Doch erst unter ihrer Tochter Kaiserin Elisabeth nahmen das Gut und das Schloss an Wichtigkeit zu. Zu Ehren ihrer Mutter Katharina nannte sie es bei der Fertigstellung 1756 Katharinen-schloss.
Katharina II erweiterte anschließend die Schlossbauten und die Parkanlagen.
In den Jahren 1834-1838 entstand zwischen St. Petersburg und Zarskoje-Selo die erste Eisenbahnstrecke Russlands über eine Länge von 27 km. Der Ort war damals in den Sommermonaten ein beliebter Treff der besser bemittelten St. Petersburger Gesellschaft.
Wir genießen den Spaziergang durch diesen schönen und gepflegten Park. Das Wetter könnte nicht besser sein und ich bin erstaunt über die Größe der Anlage. Hier kann man ja den ganzen Tag verbringen! Neben verschiedenen Pavillons gibt es einen großen Teich mit Enten, eine Ausstellung und liebevoll angelegte Blumenrabatte.
Aus einem der Pavillons tönen volle männliche Stimmen, es sind vier Sänger die hier eine wirklich sehr gute Darbietung leisten. Es gefällt uns so gut, dass wir eine CD kaufen.
Ein Blick auf die Uhr zeigt mir, dass bereits über zwei Stunden vergangen sind. Zeit, langsam zum Eingang des Schlosses zu gehen. Schließlich möchten wir nicht das berühmte Bernsteinzimmer verpassen.
Pünktlich warten wir gemeinsam mit anderen Besuchern. Es ist ein ziemliches Gedrängel, da bereits die Gruppen für 14:20 h mit in der Warteschlange stehen. Und nun kommen auch noch verspätete Gäste von 13:40h . Nur nicht abdrängen lassen! Ich schiebe Edith vor mir her bis wir die Kartenkontrolle passieren und im Foyer des berühmten Katharinenschlosses stehen. Hier bekommen wir jeder ein Paar Überzieh-Schuhe aus Stoff und schlurfen mit den Gruppen und der Besuchermenge mit.
Das Schloss ist die Wartezeit wert! Absolut sehenswert ist der Grosse Saal mit vergoldetem Dekor und der Gemälde Saal mit über 100 Gemälden westeuropäischer Meister aus dem 17.- 18. Jahrhundert. Doch auch der Grüne Speisesaal ist beeindruckend.
Die Hauptattraktion ist natürlich das Bernsteinzimmer. Dieses Zimmer war einst ein Geschenk vom Preußenkönig Wilhelm I an Zar Peter I und ist 1755 eingebaut worden. Während des letzten Weltkrieges wurde es 1941 von deutschen Soldaten demontiert und ist seit 1945 verschwunden.
Anlässlich der St. Petersburger Dreihundertjahrfeier wurde das Zimmer in der Zeit von 1979 bis 2003 rekonstruiert. Dazu hat man 6 Tonnen millimeterdünn geschnittene Bernsteinplatten verwendet und unterstützt wurde das Projekt laut meinem Reiseführer von der deutschen Ruhrgas AG.
Wir sind gespannt auf dieses weltbekannte Zimmer! Endlich ist es soweit und wir haben den berühmen Raum erreicht. Er ist relativ klein, nur ein schmaler Durchgang erlaubt den Besuchern das Kunstwerk zu betrachten. Es staut sich hier, jeder möchte den Raum genau betrachten. Ich bin überrascht, denn ich hatte mir das irgendwie anders vorgestellt. Grösser und mit ein wenig mehr „OHHHHH!“ und „AHHH!!“ dabei. Im Grunde habe ich das Bernsteinzimmer durch die Schilder „fotografieren verboten“ erkannt. Es ist deswegen nicht weniger schön, aber eben anders als erwartet. Vielleicht liegt es jedoch auch an der anwesenden Menschenmenge. „Das ist das Bernsteinzimmer“ mache ich Edith aufmerksam. „Ach ja?“ kommt es ein wenig erstaunt zurück und verblüfft sieht sich Edith um. „Ah ja, jetzt wo du es sagst!“ Wir betrachten uns die Berühmtheit noch einen Augenblick, obwohl die nächste Gruppe bereits versucht uns vorwärts zu schieben. „Toll!“ sagt Edith. „Sehr schön, aber ich hätte es jetzt nicht erkannt!“ Gott sei Dank, es geht nicht nur mir so!
Unser Rundgang endet im Erdgeschoss. Hier befindet sich eine Bildergalerie mit Fotoaufnahmen und Gemälden, die das Katharinenschloss nach dem letzten Krieg zeigen. Die Bilder spiegeln das gesamte Ausmass der Zerstörung, eine Zerstörung von Kulturgut wie sie leider immer wieder während eines Krieges geschieht. Es sind erschreckende Bilder! Und es ist bewundernswert, wie alles wieder aufgebaut und restauriert wurde, um diese Schätze der Nachwelt zu erhalten.
Langsam schlendern wir weiter durch die Räumlichkeiten. Wir liegen über den 20 Minuten, die für einen Besuch von der Schlossverwaltung einkalkuliert sind. Hoffentlich bringen wir deswegen nicht die gesamte Tagesplanung durcheinander.
Einen kleinen Moment verbringen wir noch in dem Park, genießen die Sonne und lauschen dem Flötenspieler. „Ob wir unseren Fahrer wieder finden?“ überlegt Edith als wir den Park verlassen. Ich denke schon, der Parkplatz war ja nicht weit entfernt. Doch Artur steht bereits an der nächsten Ecke und passt auf, dass wir uns nicht verlaufen.
Kurz darauf sitzen wir im Auto und sind auf dem Weg zurück nach St. Petersburg. Es war ein toller Ausflug. Natürlich kann man von St. Petersburg auch mit der S-Bahn und dem Bus oder Sammeltaxi nach Zarskoje Selo fahren. Aber wir sind beide froh, die komfortablere Variante gewählt zu haben. Nach dem Anstehen für die Eintrittskarten und den Besichtigungen ist es angenehm in ein Auto einsteigen zu können. Wenn ich mir vorstelle, wie sich jetzt all die vielen Menschen in die Busse drängen! Da haben wir schon richtig entschieden.
Eine knappe Stunde später sind wir wieder vor unserem Hotel. „Dasswidánija“ verabschieden wir uns auf fast perfektem Russisch von Artur und ich tausche mit ihm die Telefonnummer aus. Falls wir nochmal ein Taxi brauchen, werden wir gerne Artur anrufen. Er ist ein guter Fahrer und hat uns heute sehr freundlich begleitet.
Doch nun gönnen wir uns eine kleine Ruhepause, Füsse hochlegen und den Tag an uns vorüber ziehen lassen. „Einfach großartig!“ schwärme ich Edith vor, die mit einem zufriedenen und müdem Nicken antwortet. Es war ein absolut gelungener Tag und auch das Wetter hat uns nicht im Stich gelassen. Blauer Himmel und Sonnenschein, wie im Bilderbuch.
Doch es dauert nicht allzu lange und der Hunger treibt uns auf die Beine. Es ist später Nachmittag und wir haben seit dem Frühstück nichts mehr gegessen. „Was machen wir?“ überlege ich gemeinsam mit Edith. „Ein kleiner Imbiss und später essen gehen? Oder ein frühes Abendessen?“ Nachdem der Borschtsch im Hotel gestern nicht so der Renner war, beschließen wir die umliegenden Restaurants zu begutachten. Vielleicht werden wir ja fündig.
In St. Petersburg ist die Auswahl an Restaurants groß. Wir finden italienische Küche, mehrere Steak- und Grill-lokale, einen Vietnamesen und eines der Restaurants bietet sogar echten französischen Champagner an. Es ist für jeden Geschmack etwas dabei. Wir entscheiden uns für ein kleines gemütliches Lokal mit wenigen Tischen. Neben dem Restaurationsbetrieb wird an einer Theke frisches Obst und Gemüse aus ökologischem Anbau angeboten. Frisch vom Land und ungespritzt!
Edith entscheidet sich für eine Kürbissuppe mit Ingwer, absolut köstlich und nach meiner Meinung vermutlich das beste Gericht auf der Karte. Obwohl wir auch mit unserem übrigen Essen sehr zufrieden sind. Es ist sicherlich nicht dass, was man unter typisch russischer Küche versteht, doch zu meiner Freude besteht eine gute Auswahl an vegetarischen Gerichten.
Zufrieden machen wir uns auf den Rückweg zum Hotel, wo wir den Abend mit einem Glas Wein beschließen.
Zurück im Zimmer finden wir leider den einzigen Wermutstropfen des heutigen Tages. Es fehlen uns 5.000 Rubel! Irgendwann im Laufe des Tages ist der Schein aus unserer Reisekasse stibitzt worden. Wann kann das passiert sein? Als wir den Eintritt in das Schloss bezahlten? Zu dem Zeitpunkt standen viele Menschen um uns herum. „Nein!“ sagt Edith entschieden. „Danach war der Schein noch da!“ Dann muss es beim Kauf der CD passiert sein, denn ansonsten war unsere Reisekasse geschlossen. Wir haben nur an zwei Orten bezahlt. Merkwürdig! Als wir die CD kauften waren alle anderen Zuhörer doch schon gegangen. Oder? „Also ich weiß nicht“ erklärt Edith. „War da nicht noch ein Mann der die CD´s angesehen hat?“ Stimmt! Ein einzelner Mann, der uns für einen kleinen Moment über die Schulter schaute. Es war der Augenblick, als der Verkäufer kein Wechselgeld hatte und ich anfing in meiner Tasche nach Kleingeld zu suchen. Also so was! Es braucht keine großen Menschenmengen, sondern nur eine kurze Unaufmerksamkeit. Es ist müssig darüber zu grübeln, ob das mit dem Wechselgeld Zufall war. So was ist Pech und kann jedem passieren, wir müssen einfach auf der restlichen Reise besser aufpassen. Bisher hatten wir dies bezüglich immer Glück. „So ein Lump!“ schimpft Edith. „So zwei Doofe!“ denke ich mir ganz leise.
„Und morgen?“ möchte Edith wissen. „Haben wir da auch schon ein Programm?“ Aber sicher! Für morgen habe ich bereits die Eintrittskarten für die Eremitage, ein absolutes MUSS bei einem Besuch in St. Petersburg. Die Karten habe ich vorab im Internet gebucht, so vermeiden wir lange Wartezeiten an den Kassen.
Auf jeden Fall wird es ein langer Tag und Museen sind immer ermüdend, egal wie viel Kunstschätze zu bewundern sind. Daher bleiben wir nicht lange sitzen sondern gehen früh in unser Zimmer um morgen fit und ausgeruht zu sein.
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