Der Ivindo Nationalpark in Gabun
Sie besteigen eine Zeitmaschine, die Sie in eine prähistorisch anmutende Welt bringt: Ein isoliertes, unberührtes Stück Jahrhunderte alten Primärregenwalds, eingebettet in eine Landschaft welliger Hügel, die von einer unauflösbaren Nebelwolke verhüllt sind. Waldelefanten mit glänzenden Stosszähnen trinken mit gesenkten Köpfen aus den mineralreichen Gewässern. Büffeln und Sitatungas tauchen aus dem üppigen Dickicht auf und schließen sich den Elefanten an.
Stellen Sie sich einen Ort vor, an dem Gorillas den Blick eines Menschen ohne jegliche Furcht erwidern. Sie sind im Ivindo Nationalpark, mitten im Herzen des gabunesischen Regenwalds.
Zwischen den stolzen Baumgiganten, verborgen unter der dichten Baumdachkrone, fließen die unruhigen Gewässer des Ivindo-Stroms. Die ersten Europäer, die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts auf diesen wilden Flusslauf stießen, wagten nicht, seiner stürmischen Strömung flussaufwärts zu folgen. Sogar bis weit in das 20. Jahrhundert hinein hörten alle Flussexpeditionen vor den Toren oberhalb Makokou, die einzige große menschliche Siedlung am Ufer des Ivindos, auf. Denn unterhalb von Makokou zeigt der Fluss sein wahres, teuflisches Gesicht. Unzählige, trügerische Stromschnellen, senkrechte Schluchten von nur 500 Meter-Breite, Schwindel erregende Wasserfälle, von der Erosion angespitzte Felsen und Hunderte verzweigte Kanäle: Ein Wasserlabyrinth, in das sich nur die verwegenen Kota-Fischer aus Loa Loa, dem Fischerdorf unterhalb Makokou, hinein wagen.
Der Ivindo unterhalb von Makokou wurde zum ersten Mal 1998 durch eine vom Abenteurer Chris Guier geführten Weißwasser-Expedition erforscht. Die grandiosen Entdeckungen, die diese Expedition brachte, sollten das bis dahin fehlende Interesse der Welt an diesem abgelegenen Ort auf einmal wecken. Denn während der Expedition wurden vier beeindruckende Wasserfälle entdeckt: der Kongoue-, der Mingouli-, der Tsengue- und der Leledei-Wasserfall. Von allen ist Kongoue mit Sicherheit der bekannteste. Mit einer Höhe von 56 Metern, einer erstaunlichen Breite von fast drei Kilometern und einem ihn umgebenden, dichten Wald aus immensen Raffia-Palmen, der abends 5.000 Graupapageien eine sichere Zuflucht bietet, wird Kongoue zu recht als der schönste Wasserfall Zentralafrikas bezeichnet.
Aber spektakuläre Wasserfälle sind nicht des Flusses größter Schatz. Die fabelhafte Artenvielfalt an den Ufern ist derart überwältigend, dass es seit 1998 Wissenschaftler aller Ecken der Welt hierher zieht, um das Leben dieses tropischen Regenwaldes zu erforschen. Bereits 1963 eröffnete die erste wissenschaftliche Station in Makokou, um dem Ivindo-Fluss seine Geheimnisse zu entlocken. Denn Gabuns Regenwälder strotzen vor Leben. Die Entdeckung neuer, bisher unbekannter Arten macht regelmäßig Schlagzeilen. Aber diese Naturschätze offenbaren sich nicht dem Laien. Nur den Augen eines geduldigen Betrachters wird sich die Vielfältigkeit der Vogel-, Kleinaffen- und Schmetterlingsarten wahrhaftig entdecken. An den vor Kurzem entdeckten Waldlichtungen dürfen Sie jedoch einiges erwarten. Wie auf einer Bühne präsentieren sich die geheimnisvollen Dschungel-Bewohner hier. Es sind die so genannten „Bais“, mineralreiche, mit Gras bewachsene Lichtungen, die durch das Getrampel der Waldelefanten geschaffen wurden. Diese inmitten des dichten und dunklen Waldes so begehrten, künstlichen Wiesen sind wie ein Magnet für andere Säugetiere. Herden von bis zu fünfzehn Sitatungas sind nicht selten. Waldbüffel zählen zu den regelmäßigen Besuchern. Einzelne Silberrücken lassen sich auch häufig erspähen. Ein Garten Eden inmitten der grünen Hölle.
Der Ivindo-Fluss und sein atemberaubender Regenwaldgürtel wurden 2002 unter Naturschutz gestellt, um den unermesslichen Reichtum dieses Gebiets vor den drohenden Gefahren der Holzindustrie und des Elfenbeinhandels zu bewahren. Ein einzigartiger Nationalpark war geboren, dazu die Hoffnung auf seine dauerhafte Erhaltung. Jetzt kommen langsam die ersten Besucher in den Park, um das zu bestaunen, was sich die europäischen Forscher während ihrer Expeditionen im neunzehnten Jahrhundert entgehen ließen. Und sie werden für ihre Mühe reichlich belohnt.
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