Dublin, die Stadt an der schwarzen Lacke
Er war ein Held in der Dubliner Pub-Szene, ein trinkfester Sänger, er war Schriftsteller, Journalist, IRA-Aktivist und jahrelang im Gefängnis, er war erzkatholisch und antiklerikal und einer der bedeutendsten, irischen Dramatiker des 20. Jahrhunderts. Er starb erst 41jährig im Meath Hospital in Dublin, und zu der katholischen Nonne, die ihn aufopfernd pflegte, soll er kurz vor seinem Tod noch gesagt haben: „Gott segne sie, Schwester. Mögen alle ihre Söhne Bischöfe werden“ : Brendan Francis Aidan Behan.
Es waren die Wikinger
Sie gründeten im 9. Jahrhundert an der Mündung des Flußes Liffey neben dem keltischen Dorf „Äth Cliath“ eine Ansiedlung und nannten sie „Dubh Linn“, das ist irisch und heißt soviel wie schwarzer Tümpel. Der heute gebräuchliche englische Name ist Dublin – der offizielle gälische ist jedoch „Baile Ätha Cliath“, der Ort an der Schilfhürde. Schon in der Anfangszeit der Stadt ging es ziemlich turbulent zu, im Jahre 1014 in der Schlacht von Clontarf, heute ein Stadtviertel von Dublin, besiegte der irische Hochkönig Brian Boraime die Wikinger und beendete damit ihre Vorherrschaft – er selbst überlebte allerdings die Schlacht nicht.
Wer Dublin entdecken möchte, muss die Geschichte der Iren verstehen lernen, und auch ein wenig in die Menschen, in ihre Dichtung und Musik verliebt sein. Nichts kann den Iren treffender beschreiben, als das Leben des Dubliner „Kneipen-Literaten“ Brendan Behan.
Das Herz von Dublin
In dem langgestreckten Raum sind wir von lauter berühmten Männern umgeben: von Homer, Platon, Isaac Newton, William Shakespeare und vielen anderen – ihre steinernen Büsten stehn im Long Room der Old Library im Trinity College, der Universität von Dublin, im Südteil der Stadt gelegen. Die Halle ist etwa 65 Meter lang und ungefähr 12 Meter breit. An die 200.000 der ältesten Bücher der Bibliothek sind hier in zwei Etagen aufbewahrt.
Und hier ist auch die älteste Harfe Irlands zu sehen, sie stammt vermutlich aus dem 15. Jahrhundert. Doch die Iren nahmen diese wissenschaftliche Zeitangabe einfach nicht zur Kenntnis: ihrer Legende nach ist es die Harfe des Brian Boraime, auf englisch heißt er Brian Boru, der allerdings schon 500 Jahre vor dem historisch gesicherten Zeitpunkt ihrer Herstellung lebte und in der Schlacht von Clontarf den Tod fand; die Mythen berichten, dass irische Barden an seinem Grab, auf eben dieser Harfe, drei Tage und Nächte den „Brian Boru March“ gespielt hätten. Seine zahlreichen Nachkommen, er hatte schließlich vier Frauen und zahlreiche Konkubinen, gaben sich seit diesem Kampf den Namen „O’Brien“ – die Nachkommen des Brian.
Die Harfe ist für die Iren so etwas wie ein Symbol ihres Freiheitswillen, sie ist im Staatswappen Irlands und auf allen irischen Münzen eingeprägt, auch auf den neuen Euromünzen.
Die Stadt der Dichter
Es scheint so zu sein, dass Dublin für Dichter zwar ein attraktiver Geburtsort, aber kein dauerhafter Platz zum Arbeiten ist. Sie wurden alle in Dublin geboren: Georg Bernard Shaw, James Joyce, Samuel Beckett, Oscar Wilde, doch ihre Werke schrieben sie anderswo. Außer Brendan Behan, der brauchte zum Schreiben seinen Whiskey, sein Guiness und die dampfige Luft der Pubs.
Im Nordteil Dublins, in der Earl Street North, gleich neben der O’Conell Street, begegnen wir einem schrulligen Herrn mit Hut und Spazierstock: James Joyce. Die Stadt, mit der ihn eine Art Hassliebe verband, läßt sich nicht lumpen und errichtete ihm in der Nähe, in der North Great George’s Street eine ansprechende Gedenkstätte: das James Joyce Centre.
Nicht weit von hier, am Parnell Square, baute Dublin seinen Dichtern sogar ein eigenes Museum: das „Writer’s Museum“.
Wenn wir die Liffey überqueren und wieder in den Südteil der Stadt wechseln, dann finden wir im Saint Patrick’s Park die Gedenktafeln von Samuel Beckett, Brendan Behan und George Bernard Shaw, der uns eine Unmenge querdenkerischer und geistreicher Aussprüche hinterlassen hat: „Wir brauchen eine Handvoll Narren! Seht, wohin uns die Vernünftigen gebracht haben!“
In Nähe des Saint Patrick’s Park ist die Grafton Street, die Flaniermeile von Dublin. Neben einer Menge Geschäfte, Straßenmusikanten und Scharen Schaulustiger laden uns einige Kaffeehäuser zu einer Pause ein. Das „Bewley’s Oriental Cafes“ (77 Grafton Street, Dublin 2) ist ein Dubliner Treffpunkt und der ideale Ort, die Dubliner Schriftsteller, welche die Dichtung des 20. Jahrhunderts so entscheidend geprägt haben, noch einmal Revue passieren zu lassen. Das Lokal strahlt echte Kaffeehaus-Atmosphäre aus. Die Mauern sind rot und gelb tapeziert; an einer der Wände verläuft in Mannshöhe ein hölzernes Gesims und darüber sind eine Reihe hoher, dunkler Holzpfeiler in die Wand eingelassen, von denen handgeschnitzte Drachenköpfe in den Raum ragen. Dazwischen hängt eine große, alte Pendeluhr, sie ist wohl schon seit Jahrzenten nicht mehr in Betrieb, sie ist irgendwann einmal einige Minuten vor sechs stehengeblieben. An den Wänden hängen noch bunte Bilder; durch ein großes, vielfarbiges Fenster fällt gedämpftes Licht in den Raum. Was soll man sonst noch darüber erzählen? – Außer der Einsicht: der Tag ist viel zu kurz, um ihn an weniger angenehmen Orten zu verbringen.
Guinness trinken und seelenvolle Lieder singen
„Ein Tag in Dublin ohne Guinness ist kein Tag!“, der Ausspruch könnte von ihm stammen, von Brendan Behan. Allerdings bevorzugte er manchmal ein etwas härteres Getränk: Irischen Whiskey. Den feinen Unterschied zum schottischen Whisky kennzeichnet das „e“ nach dem „k“. Unter Kennern steht der „Single Malt Whiskey“, für dessen Herstellung nur Gerste verwendet wird, auf einer der obersten Stufen; diese Sorte reift bis zur Abfüllung in einem einzigen Fass, daher ist jedes dieser Fässer ein Geschmacks-Unikat.
Guinness und irische Musik, das gehört irgendwie zusammen, beides können wir wir auf der letzten Station unseres Rundganges in Dublin erleben: Im „Wohnzimmer“ der Iren – im Pub.
Die besten Plätze sind ganz vorne, an der Theke, direkt vor den Musikern. Sie spielen zu fünft: mit drei Gitarren, einem Knopfakkordeon und einer „Tin Whistle“, einer Metallflöte. Ab 9 Uhr abends gibt es irische Live-Musik in einem der gemütlichsten Pubs in Dublin, in der „The Oliver St.John Gogarty Bar“ (Temple Bar, Dublin 2). Der große Raum im 1. Stock hat an den beiden Seitenwänden urgemütliche Nischen mit Bänken, kleinen Tischen und Stühlen. Die Plätze sind alle belegt, viele Zuhörer müssen stehen. Es herrscht ein ständiges Kommen und Gehen, nicht wenige Iren wandern von einem Pub zum andern, trinken ein oder auch zwei Bier, hören sich ein paar Lieder an, und wenn es ihnen gefällt, singen sie auch lauthals mit.
Zum irischen Bier gehört irisches Essen. „Coddle“ heißt eines der deftigen Nationalgerichte, ein Eintopf mit Wurst und Speck und gekochtem Gemüse –frisch gezapftes Guiness, das leckere Essen und der Tupfen auf dem i : Irische Klänge vom Feinsten.
Die Pubs waren sein Zuhause
Zu etwas fortgeschrittener Stunde erklingt das Lied des Brendan Behan: „The Auld Triangle“. Es stammt aus seinem Theaterstück „The Quare Fellow“, er selbst hat es bei seinen Pub-Besuchen oft vorgetragen. Über die genaue Herkunft dieses Stücks wird immer wieder diskutiert – aber wenn es gesungen wird, dann klingt der Name Brendan Behan mit, er ist es gewesen, der dieses Lied zu einer zweiten Nationalhymne gemacht hat. Die Instrumente schweigen, nur die Stimmen sollen Melodie und Text wiedergeben – und viele im Raum singen leise oder summen das schwermütige außergewöhnliche Lied mit. Durch den Mythos Behans wird das Pub dabei beinahe zur Kirche.
„All along the banks of the Royal Canal“, klingt die letzte Zeile des Refrains der sechs Liedstrophen. Den Triangel im Titel kennen wir als Schlaginstrument mit durchdringendem Ton; im Mountjoy-Gefängnis benutzten es die Wärter als Wecker zum Morgenapell. Heute finden wir Brendan Behan, modelliert aus Metall, sitzend auf einer Bank, am „Royal Canal“, in Sichtweite des Mountjoy-Gefängnisses, in dem der lebende Brendan Jahre gefangen war.
Und wenn man eine Zeitlang still neben ihm auf der Bank sitzt, glaubt man, ihn einen von seinen immer etwas makabren Sprüchen murmeln zu hören:
„Trink ein Bier aus meiner Urne,
Laß dir’s schmecken, wenn du kannst.“
Franz Haslinger / im Dezember 2010
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