Eine kleine Geschichte über Montepulciano
Warum hatte sich Hans Werner Henze, einer der bedeutendsten deutschen Komponisten des 20. Jahrhunderts, in seiner Wahlheimat Italien für sein geplantes neues Kulturfest Cantiere Internazionale d’Arte (frei übersetzt bedeutet das „Internationale Kunstbaustelle“) ausgerechnet Montepulciano ausgesucht? Was hat die Hochschule für Musik und Tanz in Köln dazu bewogen, sich für das Projekt einer Europäischen Akademie für Musik und Darstellende Kunst ausgerechnet Montepulciano auszusuchen und dabei noch den Palazzo Ricci, in welchem sie seit 15 Jahren residiert, auf eigene Kosten instand zu setzen? Was hat die Kennesaw State University in Kennesaw im US-Bundesstaat Georgia bewogen, ihre erste dauerhafte außeramerikanische Ausbildungsstätte in einem Teil der Fortezza in Montepulciano zu eröffnen und diese ebenfalls auf eigene Kosten zu renovieren? Es lohnt sich, diesen und noch weiteren Fragen nachzugehen.
Montepulciano bei Nacht
Piazza Grande, der zentrale Platz in Montepulciano und Paradebeispiel einer Stadtarchitektur im Renaissancestil
Am Fuße des Hügels, auf dem die Altstadt Montepulcianos thront, befindet sich die berühmte Kirche San Biagio
Die Kirche San Biagio von innen
Blick von der Piazza Michelozzo
Die Piazza Grande als Filmkulisse für die internationale TV-Serie „I Medici“ mit Dustin Hoffman in einer der Hauptrollen
Die Familie Peruzzi
Wir sitzen zusammen mit Stefano Peruzzi. Seit 2010 leitet er die Società Agricola Nobile, ein landwirtschaftlicher Betrieb, welcher auch das Agriturismo Nobile beinhaltet. Dort haben wir bei allen unseren Aufenthalten in Montepulciano Quartier bezogen. Die Führung des Unternehmens vollzieht er mit hoher Effizienz, die Serviceleistungen werden kontinuierlich ausgebaut, Wünsche und Anregungen werden sehr sorgfältig registriert und wenn möglich schnell umgesetzt. So hat man z.B. einen kostenlosen Fahrdienst für Fahrten von und nach Montepulciano und Pienza eingeführt, der von den Gästen sehr geschätzt wird.
Das Agriturismo Nobile wurde 1983 gegründet und gehört zu den ältesten in Montepulciano
Blick auf Montepulciano vom Agriturismo Nobile
Stefano erzählt uns von Corrado Peruzzi, seinem Großvater. Ein Mann, der viel für seine Heimatstadt Montepulciano getan hat. So gründete er die Konstruktionsfirma Prefabbricati Peruzzi und leitete diese Firma auch viele Jahre erfolgreich, gehörte er zu den 16 Gründern der Vecchia Cantina, der Weingärtnergenossenschaft in Montepulciano und zu den Gründungsmitgliedern des Consorzio del Vino Nobile di Montepulciano. Weitblick, Gestaltungswille, Risikobereitschaft, unternehmerisches Denken und Engagement für die Gemeinschaft, das sind die prägenden Eigenschaften der gesamten Familie Peruzzi. Das zeigte sich z.B. als sich Anfang der 1980er Jahre die Touristenströme in Italien immer mehr in Richtung der ländlichen Regionen verlagerten und Stefanos Mutter Giuliana 1983 die Idee hatte, das Agriturismo Nobile zu gründen. Es war damals erst das 7. Agriturismo in Montepulciano – heute sind es weit über 100. Mittlerweile ist die Società Agricola Nobile, die früher einen Nebenerwerb für die Familie darstellte, zum wichtigste Wirtschaftszweig geworden. Der ökonomische Wandel in der Familie Peruzzi ist durchaus typisch für die wirtschaftliche Entwicklung in Mittelitalien während der letzten 30 Jahre. Industriebetriebe sind in dieser Zeit zum großen Teil verschwunden, während Tourismus und Landwirtschaft zu den tragenden Säulen geworden sind.
Abendstimmung im Agriturismo Nobile
Kunsthandwerk in Montepulciano
Ambrogio Zamparo ist einer der namhaftesten Mosaik-Kunsthandwerker in Italien. Er nimmt sich sehr viel Zeit, uns in dieses faszinierende Handwerk einzuführen, erklärt uns die unterschiedlichen Mosaiktechniken der Römer und Byzantiner wobei er beide Techniken natürlich perfekt beherrscht. Nach Beendigung der Ausbildung an der berühmten Mosaikschule in Spilimbergo 1956 hat er ununterbrochen bis heute diesen Beruf ausgeübt. Zu seinen sicherlich großartigsten Arbeiten gehört die Erstellung der Mosaikbilder in der 1982 fertiggestellten Chiesa della Sacra Familia in Manfredonia in Apulien. Für die Fertigstellung dieser zum Teil überdimensional großen Bilder benötigte er 24 Jahre. Die Zukunft für dieses Kunsthandwerk sieht leider nicht besonders rosig aus, verdeutlicht der heute 76jährige. Entsprechend geeigneten Nachwuchs gibt es praktisch nicht und das bezieht sich nicht nur auf Montepulciano, sondern auf das ganze Land.
Der Wein aus Montepulciano
Vino Nobile di Montepulciano, ein Wein, der auf besonders edle und erlesene Art und Weise hergestellt worden ist. So sehen es nicht nur die Einheimischen, sondern auch viele Weinkenner aus dem In- und Ausland. Unzweifelhaft hat der Wein in Montepulciano eine Bedeutung, die gar nicht überschätzt werden kann. Ein Großteil der ausländischen Touristen besucht Montepulciano in erster Linie wegen des Weines.
Wieder einmal ist eine gute Weinernte in Montepulciano zu erwarten
Im Jahr 1937 wurde die Vecchia Cantina, die Weingärtnergenossenschaft Montepulcianos von 16 Gründungsmitgliedern gegründet. Ein weiterer Meilenstein war die Gründung des Consorzio del Vino Nobile di Montepulciano im Jahre 1965. Wir treffen uns mit Marika Rossi, der zuständigen Marketingleiterin der Vecchia Cantina. Sie berichtet uns, dass die Vecchia Cantina aktuell rund 400 Genossen hat und pro Jahr rund 6 Mio. Flaschen produziert. Allein die Produktion des Vino Nobile beträgt etwa 11000 hl pro Jahr, was rund 60% der jährlichen Gesamtproduktion entspricht. Deutschland und Nordamerika sind auch weiterhin neben dem Inlandsmarkt die wichtigsten Standbeine. Die Weine der Vecchia Cantina werden unter den Marken „Vecchia Cantina“, „Poggio Stella“ und „Cantina del Redi“ vermarktet. Marika Rossi lädt uns zum Abschluss der Führung zu einer kleinen Probe ein. Wir sind sehr angetan von der Qualität der Weine. Besonders überraschend ist für uns die Qualität der Spitzenweine der Marke „Cantina del Redi“, die auf jeden Fall mit den Spitzenweinen anderer namhafter Hersteller schritthalten können. Montepulciano ist momentan sicherlich eine der spannendsten Weinregionen der Toskana, verfügt man doch mit der Vecchia Cantina über eine angesehene Genossenschaft und hat dazuhin noch eine große Zahl international renommierter Spitzenweingüter.
Einer der Kellerräume der Vecchia Cantina in Montepulciano
Das so ganz andere Kulturfest und seine Folgen
Il Cantiere Internationale d’Arte di Montepulciano, das mittlerweile berühmte Kulturfest in Montepulciano, erstmalig 1976 veranstaltet und von dem bedeutenden deutschen Komponisten Hans Werner Henze ins Leben gerufen, sollte kein „normales“ Kulturfestival sein wie so viele andere. Die Idee war es, Künstler mit internationalem Renommee nach Montepulciano einzuladen, damit sie dort zusammen mit den Menschen in Montepulciano zusammenarbeiten, um gemeinsam ein Kulturfest zu gestalten.
Die Europäische Akademie für Musik und Darstellende Kunst, ein deutsches Projekt in Montepulciano
Wir treffen uns mit Alberto Quinti, dem ehemaligen langjährigen Kulturreferenten der Stadt Montepulciano. Il Cantiere ist für ihn die Begegnung von Menschen und der freie Austausch von Gedanken zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft und Kultur – und Montepulciano sollte der Ort sein, in dem dies stattfindet. Hans Werner Henze hat sich Montepulciano deshalb ausgesucht, weil er dort ein offenes Ohr für diese Ideen fand. Obwohl, vermerkt Quinti, es war schon knapp damals, die entscheidende Abstimmung verlief mit nur 1 Stimme Mehrheit für die Durchführung von Il Cantiere. Il Cantiere war und ist ein Erfolg, aber es ist nicht allein bei der Durchführung des Kulturfestes geblieben. Seit 2005 wird Il Cantiere von der Fondazione Cantiere Internazionale d’Arte di Montepulciano organisiert, einer Stiftung, die von der Stadt Montepulciano und der Provinz Siena getragen wird. Diese fördert verschiedene Initiativen wie z.B. das Istituto di Musica „Hans Werner Henze“, in dem 40 hochqualifizierte Musiklehrer/innen rund 1000 Schüler und Schülerinnen aus der ganzen Region unterrichten. Montepulciano entwickelt sich darüber hinaus immer mehr zu einem Anziehungspunkt für unterschiedlichste Projekte. Im Jahr 2002 z.B. eröffnete die „Europäische Akademie für Musik und Darstellende Kunst“ ihre Tore. Diese von der Hochschule für Musik und Tanz in Köln getragene Akademie bietet jedes Jahr von Mai bis Oktober Meisterkurse mit international renommierten Dozenten an, die hierfür nur eine Aufwandsentschädigung erhalten. Doch damit nicht genug. Im Mai dieses Jahres wurde die erste dauerhafte außeramerikanische Ausbildungsstätte der Kennesaw State University in Kennesaw im US-Bundesstaat Georgia in einem Teil der Fortezza in Montepulciano offiziell eröffnet. Alberto Quinti führt den Erfolg Montepulcianos darauf zurück, dass man dort in der Lage sei, mit Menschen anderer Kulturen zu kommunizieren und auch ihnen ein Zuhause zu bieten.
Die Scuola di Italiano Il Sasso
Die Schule befindet sich inmitten der Stadt in einem dieser wunderschönen alten Paläste. Vorne am Empfang wird man von Heike Wilms begrüßt, einer Deutschen, die schon lange in Montepulciano lebt und in der Schule für die Organisation und die Betreuung der Schüler und Schülerinnen verantwortlich ist. Il Sasso könnte man zweifellos als Prototyp dieses freien Austauschs von Gedanken von Menschen unterschiedlicher Herkunft und Kultur bezeichnen und deshalb frage ich Alberto Quinti, der zusammen mit seiner Frau Patrizia Porecca zu den Gründungsmitgliedern der Schule gehört, ob dies auch die Idee hinter der Gründung von Il Sasso war? Er verneint diesen Zusammenhang und weist darauf hin, dass auch hier die sich verändernden Tourismusströme die Ursache für die Gründung 1983 war. Trotzdem hat sich auch die Schule der Idee von Il Cantiere verschrieben. Wir fragen uns, was wohl das Besondere ist, das uns als langjährige Sprachschüler an Il Sasso anspricht. Es muss wohl daran liegen, dass der Unterricht am besten mit dem Begriff „Interkulturelle Begegnung“ beschrieben werden kann. Die Schüler/innen treten unter möglichst korrekter Verwendung der italienischen Sprache untereinander und zusammen mit den italienischen Lehrer/innen in einen interkulturellen Dialog und erfahren dabei sowohl eine Menge über die aktuelle Lebensrealität in Italien als auch über die Situation der Länder, aus denen die anderen Schüler/innen kommen. Nebenbei erhöht sich durch diese Art des Unterrichts der Erfolg beim Erlernen der italienischen Sprache beträchtlich.
Die renommierte italienische Sprachschule Il Sasso in Montepulciano befindet in unmittelbarer Nähe der Piazza delle Erbe
La Locanda di San Francesco
Atemberaubender Blick von der Piazza San Francesco auf das Val d‘Orcia
Die Piazza San Francesco ist einer dieser herrlichen Plätze Montepulciano‘s. Von dort hat man einen faszinierenden Ausblick auf das Val d’Orcia. Dort befindet sich die Locanda di San Francesco, ein kleines Hotel mit 4 individuell gestalteten Zimmern der Extraklasse. Daneben befindet sich die Enoteca „È lucevan le stelle“, die zum Hotel gehört. Ein Ort, an dem man sich sofort zu Hause fühlt. Cinzia Caporali und Luca De Nicolò, die Eigentümer der Einrichtung freuen sich sehr darüber, wenn Ihre Gäste das so sehen, denn genau das ist ihr Konzept. Die große Beliebtheit der Enoteca bei Einheimischen wie Touristen verdeutlicht, dass das Konzept aufgeht. Cinzia, ursprünglich aus Rom kommend, und Luca, der seine Wurzeln in der Region Rimini hat, waren beide über viele Jahre erfolgreiche Projektingenieure im Bereich Hafenbau und beruflich in ganz Italien und einige Zeit sogar im Ausland tätig. Als die Locanda di San Francesco 2005 zu Verkauf anstand, haben sie sich entschlossen, diese zu kaufen und ihre bisherigen Berufe an den Nagel zu hängen. Im Juli 2006 war dann die Eröffnung. Der Zuspruch sowohl von den Einheimischen als auch von den Touristen war von Anfang an groß. Cinzia spricht voller Begeisterung von der offenen Atmosphäre in Montepulciano, die in der Region ziemlich einmalig sei. Es scheint so, als freue man sich, wenn Menschen von außerhalb kommen, um in Montepulciano etwas Neues zu schaffen.
Die Locanda San Francesco beherbergt ein Hotel mit 4 Zimmern und die Enoteca Lucevan le Stelle, in der auch Kunstausstellungen und Musikkonzerte stattfinden.
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