Eine Reise in das Okavango-Delta in Botswana
Jedes Jahr stellt der Okavango-Fluss in Botswana beim Einzug der Regenzeit eine Fläche von 16.000 km² unter Wasser. Es ist Wasser, das als Regen 500 km entfernt in Angolas Hochebenen fiel und nach einer lang anhaltenden Trockenzeit die sonst aride Landschaft des größten Binnendeltas der Welt in eine einzigartige Wasserwelt verwandelt. Die ersten winzige Rinnsaale durchstreifen das trockene Land: Die Vorbote der alljährlichen kostbaren Flut und haben vier Monate gebraucht, um die Ebene des Deltas zu erreichen. Unter der her reinströmenden Flut verschwinden tausende Quadratkilometer staubigen Graslands unter Wasser. Ein Gewirr aus Kanälen, Inseln und Sümpfen entsteht. Der Norden Botswanas ertrinkt buchstäblich. Das Leben im Okavango-Delta erwacht. Eine Reise in ein atemberaubendes Biotop beginnt.
Das Leben im Wasser
Angesichts dieser artenreichen Wasserwelt fällt schwer sich vorzustellen, dass dies einst eine Wüste war. Durch Aktivitäten im Erdinneren änderte der Okavango-Fluss plötzlich seine Richtung. Die vielen großen und kleinen Flussarmen versickern bevor sie das Meer erreichen und schaffen so die Grundlage für eins der best erhaltenen Naturparadiese im südlichen Afrika. Inmitten dieses Wasserlabyrinths bleibt eine Fahrt im Mokoro, dem traditionellen Einbaumboot, die beste Wahl, um sich durch die Flutebenen des Okavango-Deltas fortan zu schlagen. Das glasklare Wasser des Delta schimmert unter dem Boot, in der Ferne hört man Nilpferde schreien. In ausgedehnten Sumpfgebieten wie diesen ist Mobilität der Schlüssel zum Überleben, denn Nahrung ist nicht überall gleich verteilt. Umso weniger erstaunt es, dass die meisten der Sumpfbewohner dem Vögelreich angehören. Auf den zahlreichen dicht bewachsene Kleininseln im Delta halten Afrikanische Fischadler Ausschau nach Beute. Reiher und Störche steuern die Lagune an den besten Fischgründen an. Tief in den undurchdringlichen Sümpfen des Okavango lebt eine der rätselhaftesten Vogelarten Afrikas: Der Schuhschnabelstorch. Mit seiner prähistorisch anmutenden Gestalt ist der Vogel ein schafäugiger und sehr geduldiger Jäger. Minutenlang kann er völlig bewebungslos stehen, mit dem imposanten Schnabel, seinem auffälligsten Merkmal, nach unten auf das Wasser gerichtet. Einmal hat er seine Beute erspäht, bleibt für diese kein Entkommen mehr. Mit einem kräftigen und überraschenden Kopfstoß fängt er sie in seinem Schnabel und verschluckt sie. Das ganze dauert weniger als eine Sekunde.
Von geübten Schwimmern, wasserscheuen Katzen und Löwen, die keine Angst haben, nass zu werden
Das Okavango ist nicht nur die Heimat vielerlei Sumpfbewohner. Auch für zahlreiche Säugetiere aus der ariden Savanne bedeutet die jährliche Überflutung des Herzen des Deltas ein Segen, wenn die Trockenzeit ihren Höhepunkt Ende Oktober erreicht hat. Elefanten, deren Überleben vom Wasser abhängt, wandern von kilometerweiter Entfernung zu den permanenten Wasserquellen im Delta, wenn die Flut ihren Höchststand hat. Auch Büffeln lernen schnell, wo sich die besten Weideflächen befinden, die immer ihren Standort aufgrund der ständigen Bewegung des Wassers ändern. Nirgendwo sonst die prächtige Tierfülle so dicht ist wie im Moremi WIldlife Reserve. Als ältestes aller Naturreservate Botswanas bildet es das Herz des Okavango-Deltas und ist ein wahres Paradies für zahlreiche verschiedene Großtierarten. Bei einem derart reichlich gedeckten Tisch ist kein Wunder, dass die Räuber ganz in der Nähe sind. Die hohe Beutedichte ist ein willkommenes Festmahl für die vielen hier ansässigen Löwenrudeln. Allerdings tun es sich die Löwen mit so viel Wasser überall schwer, der Beute auf den Fersen zu bleiben. Wasserkanäle, die den Impalas mit ihren hohen Sprüngen nichts ausmachen, stellen für die wasserscheuen Katzen ein wahres Hindernis dar. Und dennoch: Es bleibt nichts anderes übrig als nass zu werden und schwimmen können Löwen auch.
Einige Raubkatzen haben gelernt, sich den ungewöhnlichen Notzustand der jährlichen Flut meisterlich anzupassen. In der Okavango-Region leben ca. 1.600 Löwen. Die meisten davon führen ein typisches Savannenleben, wobei die überschwemmten Flächen überwiegend meiden. Andere haben aber gelernt, das Beste aus den feuchten Bedingungen ihrer Umwelt zu machen und verbringen über die Hälfte des Jahres wortwörtlich im Wasser. Wenn die großen Weidetiere, angelockt vom saftigen Gras, das an den immer wechselnden Weidegründen des Deltas wächst, zurück im Delta sind, ist die Zeit der großen Entbehrungen für die im Überflutungsbereich der im Okavango lebenden Löwenrudeln vorbei. Noch während der Trockenzeit, wo bis zu 80 % der Beutetiere weg gewandert ist, ist nicht ungewöhnlich, dass Löwen zu Assfresser mutieren und anderen erfolgreicheren Räubertieren wie zum Beispiel Hyänen die Beute stehlen. Mit der Ankunft der großen Tierherden, die sich wie eine Schlage von Insel zur Insel auf der Suche der besten Weideplätze bewegen, soll alles anders werden. Dennoch: Mitten im Wasser an die Beute heranzupirschen gestaltet sich wesentlich schwieriger als auf trockenem Land. Der Erfolg einer Jagd hängt also von einer koordinierten Zusammenarbeit ab, in der die Löwen mit vereinten Kräften agieren, und von der Erfahrung der Veteranen der Gruppe. Auffällig ist, dass dominante Männchen dieser Wasserlöwen ein deutlich weniger aggressives Verhalten als ihre Artgenossen auf der Savanne aufzeigen. Anstatt die Reviergrenze ständig abzustreifen, verbringen die Löwenherrscher viel mehr Zeit mit den Weibchen. Sie sind sogar wesentlich toleranter ihren Jungen gegenüber und lassen die Jungtiere nah an der Beute heran, während sie noch mit Fressen beschäftigt sind: Ein unerhöhtes Verhalten für die Artgenossen im trockenen Land.
Das Spiel der ewigen Veränderung
Jetzt, in mitten des Winters, bietet das Okavango-Delta der spektakulärsten Anblick aus der Vogelperspektive. Die überschwemmte Landschaft zwischen den zahlreichen Inseln durchzieht ein Netz von Pfaden, welche die Tiere bei ihren Wanderungen zu den Weidegründen hinterlassen haben. Die weit verzweigten Wasserwege des Deltas ändern seinen Kurs ständig. Die dichte Vegetation verstopft alte Routen, neue Wege müssen von den Tieren geschaufelt werden. Inmitten dieses Labyrinth aus ruhig fließenden, von Papyrus und Schilf begrenzten Kanälen, quälen sich Flusspferde und Büffeln laufgräbend weiter voraus und schaufeln dabei Kanäle, durch sie das Wasser seinen Lauf nehmen kann.
Doch nichts hält ewig im Okavango. Wenn die Trockenheit wieder Einzug hält und die Erde wieder austrocknet, verschwinden die ungeheuren Wassermengen unter der erbarmungslosen Hitze. Der Becken des Okavango wird wieder zu einer fruchtlosen, unwirtlichen Steppe. Wieder sind die großen Herden von Büffeln und Elefanten an die wenig gebliebenen Wasserstellen angewiesen, die bald zu schlammig zum Trinken werden. Die Halbwüste hat ihr Territorium wieder erobert. Die ruhigen Sümpfe und die aride Savanne des Okavango-Beckens sind beide die zwei Seiten der gleichen Medaille. Eine magische, immer sich änderndende Landschaft, die zu verschiedenen Jahreszeiten ein neues Gesicht trägt. Immer spannend. Immer unberechenbar.
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