Ferienreise von Vancouver Island zurück nach Nord Vancouver
Dienstag
Es herrscht noch Dunkelheit als unser Wecker klingelt. Soll ich wirklich aus dem warmen schönen Bett steigen um in dunkler Kälte auf Bärenjagd zu gehen? Doch da es meine Idee war reiße ich mich zusammen und sage verschlafen zu Tony: „Du darfst zuerst aufstehen!“
Gegen halb sechs sitzen wir im Auto und machen uns auf den Weg in Richtung Port Alberni.
Es fängt langsam an zu dämmern und wir scheinen um diese Uhrzeit alleine unterwegs zu sein. Wirklich alleine! Nicht einmal ein Bär ist so früh unterwegs! Wir fahren langsam bis fast Port Alberni- nichts! Nach einer Stunde geben wir auf und fahren zurück. Vielleicht begegnet uns ein Bär auf dem Weg ins Hotel? Doch auch da: Fehlanzeige!
Zwei Stunden waren wir nun unterwegs anstatt uns auszuschlafen. Dabei hatten wir doch Bären auf unserem Ausflug gesehen. „Schon“ meint Tony ein wenig frustriert. „Aber die waren so weit weg. Und eben nur das eine Mal in zwei Wochen.“
In der Middle Beach Lodge angekommen gehen wir zuerst frühstücken. Auch heute lass ich mir von einem Kellner Salz und Pfeffer geben. Ich kann mich nicht damit anfreunden mein Brot am Buffet im Stehen zu belegen, daher nehme ich die Gewürze und das Ei mit an den Tisch. Ich bin noch dabei das Ei zu pellen als ein Mann mit empörtem Blick an unseren Tisch kommt, sich wortlos Salz und Pfeffer schnappt und demonstrativ am Buffet sein Ei salzt. Keine Frage, er wird mir die beiden Streuer nicht wieder an den Tisch bringen. Auch wenn mich seine Blicke wie Messer durchbohren, ich hole mir das Salz und Pfeffer zurück. Erst kein Bär und dann kein Salz! Das geht ja gar nicht!
Auch hier in der Middle Beach Lodge gibt es zwei von diesen fantastischen High-Tech –Toaster wie ich sie schon in Prince Rupert kennengelernt habe. Doch wie es scheint sind diese Geräte nicht nur für mich neu. Ein junger Mann in Jeans und Tennisschuhen schaut beunruhigt seinem im Toaster verschwundenen Brot nach. Kein Klicken zu hören und auch keine grell-rot glühenden Drähte sind in diesem sanften Toaster zu sehen. Ob das überhaupt funktioniert? Er scheint unsicher und steckt eine weitere Brotscheibe in den zweiten Toaster. Auch hier passiert erst mal nichts sichtbares. Nun möchte er es genau wissen: er steckt seine Hand in einen Brotschlitz um zu testen ob das neuartige Gerät funktioniert. Nach der Geschwindigkeit des Hand-rückziehens toastet das Küchengerät bereits auf Hochtouren. Er wirft einen kurzen und verlegenen Blick in die Runde: hat das jemand gesehen? Taktvoll schaue ich auf meinen Teller und versuche mein Lächeln hinter der Serviette zu verstecken. Diese kleine Episode hat mich tatsächlich wieder aufgemuntert.
Nun wird es Zeit unsere Koffer zu holen und uns in der Lodge zu verabschieden. Es beginnt nun unsere letzte Reiseetappe. Vancouver Island hat uns wirklich mit schönem Wetter verwöhnt, drei Tage Sonnenschein sind hier an der Regenküste selten. So möchten wir in den letzten Stunden unseres Aufenthaltes noch einige Stopps einlegen, wie z.B. im Naturschutzgebiet Cathedral Grove. Doch zuerst fahren wir die bereits von heute morgen bekannte Strecke nach Port Alberni. Wir haben fast den Punkt erreicht, an dem wir vor einigen Stunden unsere „Bärenjagd“ abgebrochen haben, als wir zwei Autos am Straßenrand stehen sehen. Warum halten die denn? Gibt´s was zu sehen? Ja, es gibt!!! Ein Bär! Er marschiert im Straßengraben entlang und frisst vom spärlich wachsendem Gras.
Die beiden anderen Autos fahren bereits weiter als wir einige Meter neben dem Bären anhalten. Tony hat den besseren Blick, da er im Moment der Beifahrer ist. Somit macht er auch die Fotos. „Lass das Fenster zu, wer weiß wie er reagiert“ ist meine erste Warnung auf die Tony natürlich nicht hört. Doch Meister Petz reagiert gar nicht, sondern grast in aller Ruhe weiter. Mit seiner Nase schubst er den restlichen Schnee zur Seite um an das frische Grün zu gelangen. Begeistert beobachten wir ihn bei seiner vegetarischen Mahlzeit. Jetzt sehen wir doch noch einen Bär von ganz nahe. Am letzten Tag!
Wir stehen ungefähr eine viertel Stunde hier als weitere Autos kommen und anhalten. Als erstes bremst ein junges Pärchen auf der anderen Straßenseite. Mit Fotoapparat bewaffnet steigen sie aus, stellen sich an den Straßenrand und fotografieren unseren Bär. Liebe Zeit, wie leichtsinnig! Immerhin ist ein Bär ein Raubtier, da kann man doch nicht einfach aus dem Auto steigen. Nun kommt der zweite Wagen und die nächsten steigen aus. Sogar mit einem Kind auf dem Arm! Meine Güte, das ist doch gefährlich! Doch der Bär beachtet keinen von seinen Zuschauern. Friedlich grast er vor sich hin und ignoriert die Störung. Ich sitze nach wie vor auf der Fahrerseite und muss mir den Hals verrenken um den Bär zu sehen. Ob ich auch aussteigen soll? Bei der Auswahl an entschieden zarterem Fleisch, warum sollte der Bär ausgerechnet mich angreifen. Außerdem ist er nach wie vor total entspannt am Fressen. Nun kommen nochmals zwei Personen und stellen sich an den Straßenrand. Nee, da bleibe ich auch nicht im Auto!
Als ich draußen stehe kann ich den Bär endlich auch richtig gut sehen. Es ist ein Schwarzbär und mit seinen großen Füßen tappt er über den Waldboden. Doch so friedlich wie er im Moment ist, mit den langen Krallen an seinen Pfoten möchte ich keinen Bekanntschaft machen. Wenn er geht kann ich seine Sohlen sehen und die haben richtige Fußform. Wie eine Schuhsohle. Das Fell ist dunkel und dicht, nur um die Augen sind die Haare ein wenig heller.
Nun reicht ihm die viele Gesellschaft , er dreht uns den Rücken zu und marschiert langsam und bedächtig in den Wald. Er ist jetzt zum größten Teil von den Bäumen verdeckt und die anderen Zuschauer gehen zurück in ihre Autos. Also allein bleibe ich auch nicht hier draußen! Rasch schlüpfe ich wieder hinter das Steuer und beobachte Meister Petz aus dem sicheren Fahrzeug. Unser Bär bewegt sich parallel zum Highway und wir fahren im Schritttempo neben ihm her. Nachdem wir so lange auf eine „Bärenbegegnung“ gewartet haben, wollen wir sie auch bis zum letzten Sichtkontakt nutzen. Doch er verschwindet nicht zwischen den Bäumen sondern kommt im Zickzack- Kurs wieder zurück zur Straße. Diesmal bleibt er nicht auf dem Seitenstreifen sondern kreuzt die Fahrbahn und trottet mit gleichmäßigem Schritt auf dem Highway entlang. Ich habe ihn auf der Fahrerseite gut im Blick während wir langsam auf gleicher Höhe weiterfahren. Er lässt mir Zeit für ein paar Fotos und nach etwa 100 Metern klettert er die steile Böschung hinauf und verschwindet im Wald.
Das war die Belohnung für unsere zweiwöchige Bärensuche und wir sind beide begeistert. Was für ein Glück! Wir haben in unserem Urlaub drei mal Bären gesehen. Einmal sehr kurz im Vorbeifahren, auf unserem „Bear-watching“ Ausflug und heute nochmal aus unmittelbarer Nähe. Die heutige Begegnung war die schönste! Zufrieden fahren wir weiter und fühlen uns sogar für die zwei Stunden verlorenen Schlaf entschädigt.
In Port Alberni blühen die Obstbäume am Straßenrand und ich kann mir nur schwer vorstellen, dass wir vor kurzem noch im Schnee durch die Rocky Mountains gefahren sind.
Nach einigen weiteren Kilometern kommen wir zu dem Naturschutzgebiet Cathedral Grove. Wir stellen das Auto auf dem Parkplatz ab und machen einen kleinen Rundgang durch diesen Regenwald. Seine riesigen hochgewachsenen Douglasfichten und Lebensbäume sind teilweise bis zu 800 Jahre alt. Der Waldboden ist überwuchert mit üppigen grünen Farnen und einer Vielzahl von anderen Pflanzen. Durch die bis 75 Meter hohen Fichten entsteht tatsächlich der Eindruck sich in einer Kathedrale zu befinden. Leider können wir nicht so lange bleiben wie ich mir das wünsche, doch die Zeit vergeht rasch und wir möchten pünktlich an der Fähre sein.
Kurz nach zwei erreichen wir Nanaimo und können in aller Ruhe am Hafen das Ticket kaufen, uns in die richtige Reihe einordnen und auf die Fähre warten. Als wir um 15ºº h ablegen sind wir oben auf dem Sonnendeck und werfen einen letzten Blick auf Vancouver Island. Um uns herum ist das Sonnendeck gut besucht. Viele Kanadier genießen die ersten Frühlingstemperaturen und sitzen mit Sandalen und kurzärmligem Hemd in der Sonne. Die Mädchen tragen Miniröcke und legen die Beine nach oben um die erste Bräune in diesem Jahr zu bekommen. So akklimatisiert bin ich nicht! In Ruths dicke Jacke gewickelt und meinen Schal um den Hals versuche ich ein warmes windstilles Plätzchen zu finden. Und müde bin ich! Dauernd fallen mir die Augen zu und ich muss aufpassen, dass ich hier nicht im Sitzen einschlafe. Die Überfahrt dauert eineinhalb Stunden und als wir in der Horseshoe Bay anlegen bin ich froh, das wir uns bald ausruhen können. Von hier ist es nicht weit bis in die Capillano Road und trotz Baustelle sind wir kurz darauf im Thistle Down.
Rex und Tosh sind Zuhause und beide freuen sich uns wiederzusehen. Tosh zeigt uns das Zimmer und bewacht Tonys Koffer während wir mit Rex das restliche Gepäck holen. Nun werden erst mal Neuigkeiten ausgetauscht wie z.B.: „Wir haben heute einen Bär gesehen!“
Rex empfiehlt uns als erstes ein wenig auszuruhen, da wir heute Abend bei Diego und seiner Familie zum Abendessen eingeladen sind. Das ist ein guter Vorschlag und nach einer heißen Dusche legen wir uns auf unser Bett.
Eine Stunde später ist es Zeit aufzustehen und nach dieser Ruhepause fühle ich mich wieder fit.
„Diego wohnt ganz in der Nähe, fast in der Nachbarschaft“ erklärt uns Ruth bei der Abfahrt. Als wir ankommen ist mir wieder einmal bewusst, dass in Kanada nahe nicht das gleiche ist wie in Europa. Aber immerhin, Diego wohnt auch in Nord-Vancouver. 🙂
Es ist ein sehr gemütlicher familiärer Abend und Diego ist ein hervorragender Koch. Das Gesprächsthema sind natürlich unsere Reiseerlebnisse und die heutige Begegnung mit Meister Petz. In einem Punkt sind sich alle absolut einig: Wie leichtsinnig aus dem Auto auszusteigen! Wie können die Leute nur! „Was da schon alles passiert ist!“ meint Rex. Er erzählt uns die Geschichte von einem amerikanischen Ehepaar, die ihr Kind für ein Foto auf den Rücken eines Bären gesetzt habe. Der Bär fand diese Belästigung gar nicht lustig und entledigte sich von diesem Störenfried mit einem Prankenschlag, welcher das Kleinkind tödlich verletzte. Sehr traurig, aber nicht Fehler des Bären! Der Fall hat in Kanada großes Aufsehen erregt, besonders weil der Vater gegen den kanadischen Staat klagte. Seine Begründung war das Fehlen eines Verbotsschildes mit dem Hinweis, das es Verboten ist Kinder auf den Rücken eines wilden Bären zu setzen. „Um ein Foto zu schießen, kann man sich so was Dummes vorstellen?“ Nein, kann man nicht! Höflich verschweigt Tony ,dass auch ich mich den Leichtsinnigen am Straßenrand angeschlossen hatte und auch ich verrate es jetzt lieber nicht. Danke Tony! Aber musst du das mit der Unvernunft ständig wiederholen?
Auch dieser nette Abend hat natürlich irgendwann ein Ende und wir fahren zurück nach Thistle Down. Trotzt der netten Gesellschaft und Unterhaltung konnte ich mich leider nicht dagegen wehren, dass meine Müdigkeit wiederkehrte. Meine Augen drohten zuzufallen und es fiel mir immer schwerer am Gespräch teilzunehmen. War ja schon peinlich! Doch jetzt freue ich mich auf mein Bett und schlafe auch sofort tief und fest ein.
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