Kanada Reisebericht – Walbeobachtung bei Tofino auf Vancouver Island
Montag
Heute steht Walbeobachtung auf dem Programm und so schaue ich als erstes nach dem Aufwachen wie das Wetter ist. Gott sei Dank, die Sonne lacht vom Himmel. Schon zwei Tage hintereinander kein Regen! Wir konnten heute auch eine Stunde länger schlafen, der Treff mit Katie und John ist erst um neuen Uhr.
Da wir Zeit genug haben schauen wir, was es in der Middle Beach Lodge zum Frühstück gibt. Der Frühstückstisch ist im Speisesaal aufgebaut und neben den Pappbechern zum Mitnehmen gibt es Porzellangeschirr und Kaffeetassen. Die Auswahl an Brotsorten ist nach fast zwei Wochen Rundreise durch Kanada beeindruckend. Und neben Kuchen und Marmelade liegen hart gekochte Eier auf einem Teller. Das ist doch richtig üppig, fehlt nur noch Pfeffer und Salz. Das ist kein Problem, ein netter junger Kellner geht an einen Schrank und bringt mir das Gewünschte. Tony und ich decken uns einen Tisch und genießen unter den erstaunten Blicken der „Schnellfrühstücker“ unsere Mahlzeit.
Gestärkt machen wir uns auf den Weg zur Remote Passage von wo aus unser heutiger Ausflug startet. Wie gestern ist Katie schon im Büro und verteilt Regenjacken und warme Mützen. Kritisch beäugt sie die Kleidung der Teilnehmer. Sind auch alle warm genug angezogen? Unsere „Astronautenanzüge“ brauchen wir nicht, da der Ausflug in einem geschlossenen Boot stattfindet. Wir sind zehn Teilnehmer, außer uns sind noch ein deutsches und ein holländisches Ehepaar mit jeweils zwei Kindern dabei. Genau wie gestern begleitet uns auch heute wieder John, doch wird er uns diesmal hinaus auf den Pazifik bringen. Nach einem sehr informativen Videofilm über das Unterwasserleben vor Vancouver Island geht es los: wir stechen in See! Gerade jetzt, Anfang Mai, ist eine optimale Zeit um Grauwale zu beobachten. Auf ihren jährlichen Wanderungen von bzw.nach Hawaii oder Mexiko rasten diese friedlichen Kolosse hier vor der Küste und gehen auf Nahrungssuche.
„Falls ihr guys etwas seht, sagt mir Bescheid“ sind auch heute Johns Worte vor dem Start. Rasch lassen wir das Festland hinter uns und mit jedem Meter Entfernung von der Küste nimmt der Wellengang zu. Wie ein Ball hüpft das kleine Boot hart über die Wellen. Gespannt schauen wir alle aus den Fenstern- wer wird den ersten Wal entdecken? Jeder Passagier hat von John ein Fensterleder erhalten, denn durch den Temperaturunterschied sind die Scheiben ständig beschlagen. Gemeinsam sind wir am Wischen und jede Putzfirma würde uns sofort alle zehn unter Vertrag nehmen. Dann sehe ich für einen Moment eine Bewegung und eine Wasserfontäne am Horizont. „Stopp, da hinten war etwas!“ rufe ich John zu. „Wo?“ fragt er zurück. Na ja, inzwischen ist es weg. Aber es war für einen Moment da. Oder doch nur eine höhere Welle? John ist skeptisch, er glaubt mir offensichtlich nicht.
Doch einige Minuten später sehe ich es nochmal, es ist eindeutig die von einem Wal geblasenen Fontäne. Und ich habe sie entdeckt!!!!! John nimmt sofort Kurs in Richtung Wal und als wir uns bis auf ca. 15 Meter Entfernung genähert haben drosselt John den Motor. Nun können wir alle nach draußen auf das Minideck am Heck gehen.
Wo ist der Wal? Wo wird er wieder auftauchen? Ein Zischen begleitet von einer hohen Wasserfontäne macht uns auf den Grauwal aufmerksam. Nicht weit von uns entfernt sehen wir den mächtigen muschelbedeckten Rücken aus den Wellen auftauchen. Elegant gleitet er einen Moment dahin, bevor er wieder im Wasser verschwindet. Doch unser Grauwal ist nicht alleine. Rund um uns herum werden nacheinander Fontänen in die Höhe geblasen und Walrücken tauchen zwischen den Wellen auf. John schätzt, dass wir uns über einer Gruppe von ca. 20 Tieren befinden. Bis zu dreizehn Meter lang werden Grauwale und ich bin fasziniert von diesen friedlichen Ozeanriesen.
Doch nicht alle im Boot können sich so an unseren Beobachtungen freuen wie Tony und ich. Leider haben wir inzwischen Seekranke an Bord. Ausgerechnet die holländische Frau mit ihren beiden Jung´s hat es als erste erwischt. Sind Holländer nicht Seefahrer? Frauen und Kinder anscheinend nicht. Auch bei der deutschen Familie hat es die weibliche Hälfte und den Nachwuchs getroffen. Grün im Gesicht sitzen sie auf einer Bank und jeder hält eine Tüte vor sich. Die Ärmsten! Sie tun mir wirklich leid, auch wenn dafür auf dem kleinen Heck unseres Bootes entschieden mehr Platz ist. 😉
Zu viert halten wir die Stellung und versuchen die Walfontänen im Auge zu behalten. Einer der beiden Ehemänner fotografiert eifrig, doch bei dem kurzen und unvermuteten Auftauchen der Wale ist dies sehr schwierig. Die Grauwale scheinen sich an unserer Anwesenheit nicht zu stören, doch nach einer Weile wechseln sie die Richtung und schwimmen davon.
Wir bleiben zurück, denn wie John richtig sagt, wollen wir die Wale keinem Stress aussetzen. Dies wäre jedoch der Fall, wenn sie sich verfolgt fühlen.
Im Inneren des Bootes herrscht nach wie vor grüne Gesichtsfarbe vor und so langsam werden die Tüten knapp. John durchsucht eine weitere Kiste und fördert die letzte Tütenrolle zu Tage die von den Müttern dankbar entgegen genommen wird.
Zur Erleichterung der seekranken Passagiere verkündet John, dass wir uns nun auf den Rückweg machen. Mit einem kleinen Zwischenstopp an einem Felsen mit Seelöwen geht es in flottem Tempo in Richtung Tofino. Da wir nun nicht mit, sondern gegen die Wellen fahren vertieft sich die grüne Gesichtsfarbe bei unseren erkrankten Mitreisenden noch um einige Schattierungen. Die Plastiktüten sind inzwischen aufgebraucht und die Mütter sammeln alle vorhandenen Tempotücher. Auch wir stiften unsere kanadischen Kleenex, mein letztes rissfestes Tempo aus Europa behalte ich jedoch selbst für evt.Notfälle. Bei unserer Ankunft in Tofino werden die letzten Blätter des noch übrigen Toilettenpapiers verteilt bevor die leidenden grüngesichtigen Passagiere mit ihren Plastiktüten an Land gehen. Während John leicht besorgt seine Bootskabine in Augenschein nimmt verabschieden Tony und ich uns von Katie.
Es ist früher Nachmittag und die richtige Zeit ein wenig durch den Ort zu bummeln und Ausschau nach „Mitbringseln“ zu halten. Tofino ist ein Touristenort und daher ist das Angebot an indianischen Handarbeiten groß. Nach einem Rundgang lande ich bei Monague Native Crafts Ltd. mit großer Auswahl an Schmuck und Dream-Catchern. So ein Traumfänger möchte ich auf jeden Fall haben, in seinem mit Federn geschmücktem Netz sollen sich die bösen Träume und Gedanken verfangen. Für Edith finde ich ein Gesundheitsrad, ebenfalls mit Federn geschmückt und für Sybille suche ich einen Traumfänger aus. Nun noch ein wenig von dem hübschen Schmuck, alles mit alten indianischen Symbolen. Tony schüttelt nur den Kopf: „Du magst doch Federn gar nicht. Und jetzt kaufst du welche und willst sie auch noch in dein Schlafzimmer hängen?“ Na ja, das ist doch jetzt ganz was anders!
Nach diesem Großeinkauf verspüre ich ein wenig Hunger und wir gehen ein Sandwich essen. Tony bleibt auf der sicheren Seite und nimmt Käse mit Schinken. Ich versuche das Lachssandwich mit Kapern und habe damit einen wirklich guten „Griff“ gemacht.
Die Ruhepause hat uns gut getan, doch nun möchten wir das schöne Wetter nutzen und einen weiteren, von Ruth empfohlenen, Trail erkunden. Wir fahren dazu in Richtung Wickaninnish Beach und halten auf dem Parkplatz zum Bog Trail. Es ist ein Weg von knapp einem Kilometer der auf Holzstegen durch ein Sumpfgebiet führt. Uralte kleingewachsene Kiefern, Moos und Büsche säumen den Weg. Laut Beschreibung in einem ausliegenden Informationsblatt gibt es hier auch eine fleischfressende Pflanze, den Sonnentau. Leider kann ich jedoch nicht ausmachen welche der vielen Gewächse das ist. Wie auf jedem Trail wird auch hier auf einem großen Schild vor Bären, Wölfen und Pumas gewarnt. Nun, sicherlich wird es hier diese Raubtiere geben, doch es ist wahrscheinlicher das sie Nachts unterwegs sind. Tiere gibt es hier auf jeden Fall, denn in dem feuchten sumpfigen Moos sind die Eindrücke verschiedener Spuren zu erkennen.
Nach diesem Spaziergang fahren wir noch bis zu dem Besucherzentrum am Strand, gehen auf dem festen Sand am Pazifik entlang und erforschen einen Teil eines weiteren Wanderweges. Den gesamten Rundgang schaffen wir nicht mehr, dazu ist es schon zu spät und unsere Füße zu müde. Doch in der Nähe unseres Hotels haben wir ein Schild gelesen: botanischer Garten. Dazu reicht die Zeit und sicherlich auch unsere Kraft.
Die Zufahrt zu dem botanischen Garten ist holprig und führt zu einem kleinen Hotel oder Gasthaus. Wo mag der botanische Garten sein? Am besten gehen wir an die Rezeption und fragen nach. An der Haustür hängt ein großes Schild, dass die Besucher bittet die Schuhe auszuziehen. Na gut, das mache ich zu Hause ja auch. Eine junge Frau bittet uns einen Moment zu warten und das gibt mir Zeit mich umzuschauen. Ein Aufenthaltsraum und eine Küche die von den Betreibern und den Gästen anscheinend gleichzeitig genutzt wird. Diese Unterkunft erinnert mich eher an eine Jugendherberge als an ein Hotel.
Nun kommt ein bärtiger Herr und drückt uns einen Katalog in die Hand. Damit können wir zu einem Rundgang in seinem botanischen Garten starten, alles ist in dem Katalog erklärt und der Eintritt beträgt zehn Dollar pro Person. Wir brauchen jedoch nicht sofort bezahlen sondern hinterher, wenn uns der Garten gefallen hat. Gespannt machen wir uns auf den Weg. Die erste Überraschung kommt direkt nach den ersten Metern. Bei den Pflanzen handelt es sich um kleine Setzlinge und Ableger in kleinen Blumenbeeten. Petersilie, Salbei und Zwiebeln sind unter anderem dabei. Dann einige Blumen und Sträucher bei denen nicht zu erkennen ist ob sie am eingehen sind oder nicht.
In dem größten Blumenbeet liegt der freundliche struppige Hofhund und wedelt zur Begrüßung mit dem Schwanz. Das soll ein botanischer Garten sein? „Unverschämt“ murmelt Tony . „Dafür will der zehn Dollar Eintritt?“ ist seine verwunderte und berechtigte Frage. Doch da wir nun schon hier sind schauen wir uns weiter um. Vor allem da der bärtige Herr Tony erzählt hat, es seien hin und wieder Bären auf dem Grundstück. Jetzt gegen Abend sei es gut möglich, das wir unten am Wasser auf einen treffen. Auch wenn wir inzwischen Bären gesehen haben, der Verlockung können wir nicht widerstehen.
Der botanische Garten entpuppt sich als interessanter und vielseitiger als es auf den ersten Blick scheint. Es ist ein sehr weitläufiges Grundstück mit Regenwald und den dazugehörenden Urwaldriesen. Kleine verschlungene Pfade führen bis ans Wasser und auch wenn uns kein Bär begegnet hat sich der Spaziergang gelohnt. Eingebaut in den Garten finden wir Skulpturen aus Holz oder aus kunstvoll geflochtenem Draht. Halb hinter einem Busch versteckt entdecken wir ein weiteres „Kunstwerk“. Ein Totenschädel neben einem Spaten! Über Kunst lässt sich ja bekanntlicherweise nicht streiten. Oder war das der Tourist dem hier ein Bär begegnet ist? 🙂
Auf dem Weg zum Ausgang treffen wir auf einen weiteren Besucher des botanischen Gartens. Der junge Mann kommt aus Nainamo und besucht regelmäßig Tofino und auch diesen botanischen Garten. Wirklich? Es war zwar schön- aber nochmal? Er ist auf jeden Fall begeistert und möchte auch wissen wo wir waren und wie lange wir bleiben. Bei der Plauderei kommt das Gespräch (Überraschung!!) auf Bären. „Es gibt hier viele Bären. Vor allem auf der Straße nach Port Albani. Morgens zwischen sechs und sieben Uhr ist die beste Zeit“ versichert er uns. Wirklich? „Of course, es gibt keine Garantie. Aber mir begegnen fast immer einige.“
Nachdem wir uns von ihm verabschiedet haben suchen wir den Herrn mit Bart um unsern Eintritt zu bezahlen. Er wirkt überrascht und meint: „Oh, you are paying? Hat es euch wirklich gefallen?“ Das scheint wohl nicht so häufig vor zukommen.
Es war ein langer Tag und wir sind nun froh im Hotel anzukommen. Die heiße Dusche ist ein Genuss und nachdem wir uns ein wenig ausgeruht haben kommt der Hunger. Wo gehen wir hin? Nochmal ins Rainbow Cafe? Dort war es sehr gut, doch auch am ersten Abend hat es uns gut geschmeckt. Das war im Shelter Restaurant und da gehen wir heute zum Abschluss nochmal essen. Auf der Karte stand ein Lachsgericht was sich sehr gut anhört und Tony hat Appetit auf Fisch. Bei der Bestellung des Lachses fragt die Bedienung: „Wie möchten sie ihren Lachs? Medium oder durchgebraten?“ Das ist uns neu, wir kennen Lachs nur durchgebraten oder gedünstet. Aber Medium? Die Kellnerin empfiehlt medium, sonst wird der Fisch zu trocken. Ungewohnt, doch Tony schmeckt es prima und er ist mit seiner Wahl und der Empfehlung zufrieden. Bei einem Glas Wein besprechen wir noch unsere Pläne für morgen. Es ist unser letzter Tag auf Vancouver Island und wir möchten die Fähre um 15ºº h nehmen. Wie teilen wir die Zeit am besten ein? Ob wirklich Bären auf dieser Strecke zu sehen sind? Doch so früh sind wir ja noch nicht auf der Rückfahrt. „Dann lass uns doch früh aufstehen und zwischen sechs und sieben die Strecke abfahren. Zum Frühstück sind wir wieder hier und können dann in Ruhe packen“ ist mein Vorschlag. Das ist unsere letzte Gelegenheit nochmal einen Bär zu sehen.
Tony ist mit der Idee einverstanden und so stellen wir in der Middle Beach Lodge unseren Wecker nochmal. Und diesmal sogar auf 5ºº Uhr! Hoffentlich hat uns der junge Mann keinen Bären aufgebunden.
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