Nashik in Maharashtra, das Varanasi des Südens
Geschafft! Ich sitze im Zug nach Nashik und meine diesjährige Rundreise in Indien kann beginnen.
Gestern früh bin ich in Mumbai gelandet, doch da ich vor zwei Jahren bereits für 3 Tage hier war, habe ich es bei einem Tag zur Akklimatisierung belassen. Das nächste mal wieder, denn Mumbai ist eine faszinierende Stadt, in der es sicher noch sehr viel zu entdecken gibt.
So habe ich nach meiner Landung lediglich einen Spaziergang durch Colaba zum Gateway of India gemacht und am Nachmittag mein Zug-ticket nach Nashik gekauft.
Im Reisebüro erhielt ich eine Fahrkarte für 2. Klasse Sleeper, das bedeutet ein Liegewagen und mir steht auch am Tag die gesamte Größe der Liege zur Verfügung. Ob das immer so klappt? Doch heute ist der Zug leer, außer mir ist nur ein älterer Herr zwei Pritschen weiter im gleichen Abteil und ich kann die Fahrt in Ruhe genießen.
Interessiert schaue ich zum Fenster hinaus. Noch sind wir in den Vororten Mumbais, wo wir etliche der berüchtigten Nahverkehrszüge überholen. Doch es sind um diese Uhrzeit keine, an den Zügen klebenden, Menschentrauben zu sehen. Die meisten Passagiere stehen zwar in der offenen Tür, allerdings nicht aus Platzmangel sondern aus anderen Gründen. Vielleicht lockt der kühle Luftzug, denn die Temperaturen sind trotz der frühen Stunde schon recht hoch.
Inzwischen haben wir die Stadtgrenze erreicht und es geht hinaus in die Landschaft Maharashtras. Dörfer fliegen an uns vorbei, Felder und Wiesen, doch je weiter wie fahren um so trockener wird die Vegetation. In Maharashtra, so habe ich gelesen, arbeiten 65 % der Bevölkerung in der Landwirtschaft. Schwer zu glauben, wenn ich hier so aus dem Fenster schaue. Doch es ist auch der drittgrößte Bundesstaat in Indien und hat eine Gesamtfläche von über 300.000 Quadratkilometern. Ich kann also sicherlich nicht nur von dieser kurzen Strecke aus beurteilen.
Nach knapp 4 Stunden Fahrt erreiche ich Nashik.
Wie an allen Bahnhöfen Indiens stehen Taxifahrer und Tuktuks auf den Bahnsteigen und in der Halle um ihren Service anzubieten. Da ich nur eine Tasche habe, entscheide ich mich für ein Tuktuk dessen Fahrer der recht gut Englisch spricht. „Mam, you have hotel?“ Nein, habe ich nicht. Nashik ist sicherlich nicht der Ort, der ständig von Touristen überlaufen ist. Diese 3000 Jahre alte, heilige Stadt mit über 200 Tempeln ist ein in Indien sehr bekannter Pilgerort und wird auch das Varanasi des Südens genannt. Doch nur alle 12 Jahre wird das von Millionen Hindus besuchte Pilgerfest Kumbh Mela hier abgehalten. In diesen Jahren sucht man vermutlich wirklich vergebens nach einer Unterkunft. Doch westliche Touristen verirren sich eher selten in diese Gegend.
Heute ist es wirklich kein Problem und das empfohlene Hotel New Holiday Plaza ist zentral und die Zimmer sauber. Mehr braucht es ja nicht.
Das Hotel liegt am Rande der Altstadt, wo sich auch die Gaths am Ufer des heiligen Flusses Godarvari befinden. Nashik ist die drittgrößte Stadt im Bundesstaat Maharashtra und es sollen hier laut Wikipedia „Moderne und Tradition“ aufeinander treffen. Nun, davon sehe ich hier in der Altstadt nicht viel. Die Moderne fehlt und die Vorstellung in der drittgrößten Stadt nach Mumbai und Poone zu sein fällt mir schwer.
Ich schlendere durch schmale Gassen und kleine Geschäfte. Dazwischen sitzt eine Näherin, inmitten der zu reparierenden Kleidungstücke und einer Nähmaschine. Eine andere Frau hat auf einer Kiste Platz genommen und bietet vollreife Granatäpfel an. Sieht sehr lecker aus! Doch zuerst brauche ich etwas handfestes im Magen, nicht unbedingt Obst.
Eine Strasse weiter stehen Buden in denen Esswaren angeboten werden. Alles unbekannt! Was mag das sein? Es sieht aus wie Mais oder Kartoffeln mit Koriander bestreut. „Spicy?“ frage ich den Verkäufer.
Er schaut mich überrascht an, wiegt den Kopf drei mal von rechts nach links und nickt. Gut, wenn es scharf ist probiere ich es! Nur nichts klebrig- süßes auf nüchternen Magen. Vorsichtig und mit zwei Fingerspitzen legt er einige Stückchen auf eine Zeitungsseite, wiegt es ab und reicht es mir hinüber. Interessiert werde ich von ihm und allen Umstehenden beobachtet. Schmeckt es der Westlerin? Ja, es schmeckt und auf mein zustimmendes nicken und lächeln ernte ich breites, fröhliches Grinsen aus der gesamten Runde. Doch anders als in den touristisch erschlossenen Gebieten wie Rajasthan, werde ich hier nicht angesprochen. Ich werde interessiert betrachtet, aber keiner fragt mich woher und wohin, ob ich verheiratet bin oder wie viele Kinder ich habe. Keine Ahnung ob dies Höflichkeit ist oder vielleicht mit eingeschränkten Englischkenntnissen zu tun hat.
Ich bin hier in einer Strasse, an der sich ein Essens-Stand an den anderen reiht. Hunger habe ich nun zwar keinen mehr, aber ich möchte gerne wissen was das alles ist. Nur leider kann ich mit den Antworten nicht viel anfangen, der indische Name sagt mir nichts und der Koch kann kein Englisch. Doch ich liebe das Risiko, also probiere ich auf gut Glück. Die Kugeln sehen sehr süß aus, klebrig, in Honig getunkt und mit Zuckerwasser beträufelt. Muss nicht sein! Doch diese rote Masse aus Erdnüssen, das werde ich versuchen. Glück gehabt! Süß, aber trotzdem gut und einen kleinen Touch Schärfe!
Die Häuser in dieser Gegend machen teilweise einen sehr verfallenen Eindruck. Es sind nicht nur die Feuchtigkeitsflecken aus der Regenzeit, sondern es fehlt ganz offensichtlich an Instandhaltungsarbeiten. Oder, genauer gesagt, vermutlich an dem Geld hierfür.
Ich bummel weiter und erreiche das Ufer des Godavari ein wenig außerhalb des Zentrums.
Auf der anderen Uferseite führen drei Stufen vom Wasser hinauf zu einem Platz mit notdürftig aufgerichteten Zelten. Darin befindet sich das gesamte Hab und Gut der dort lebenden Familien.
Tuktukfahrer reparieren ihre Fahrzeuge direkt oberhalb der Stufen und waschen sie anschließend mit dem Wasser des heiligen Flusses. Vielleicht hält danach die Reparatur ja länger?
Ich gehe nach links in Richtung Zentrum und den Tempeln. Schon von weitem kann ich erkennen, dass hier reges Treiben herrscht. Menschen und heilige Kühe sind unterwegs und am Flussufer findet im Schatten von Zeltplanen ein Markt statt. Dieser Markt ist mein erstes Ziel. Hier, unter dem Sonnenschutz, sind die Hausfrauen von Nashik am einkaufen. Gurken und rote Beete, Bohnen, Kürbis, Zucchini und Auberginen- die Vielfalt an verschiedenem frischem Gemüse ist kaum zu überbieten.
Knoblauch und Zwiebel werden an separaten Ständen verkauft. Dazu kommen Gewürze, Trockenfrüchte und Kokosnüsse. Nicht zu vergessen die frischen Chilli-schoten. Eine Kuh beschnuppert interessiert den Blumenkohl, doch sie geht einen Augenblick später weiter ohne zu probieren. Kohl ist offensichtlich nicht ihr Geschmack!
Langsam schlendere ich bis zum anderen Ende der aufgebauten Zeltplanen und komme damit wieder zurück an den Fluss. Am Ufer des Godavari scheint sich ein großer Teil des alltäglichen Lebens abzuspielen. Frauen wie Männer sind hier, waschen die Wäsche, reinigen große Teppiche und legen alles zum trocknen auf die Steine oder den staubigen Boden. Da habe ich doch eine Gemeinsamkeit mit Varanasi gefunden!
Mein Spaziergang führt mich zu einer Verbreiterung des Flusses, die fast wie ein See anmutet. In der Mitte befindet sich eine Fontäne und hier scheint ein beliebter Familientreffpunkt zu sein. Ein Kinderkarussell wartet auf seine kleinen Gäste und direkt daneben sind Verkaufsbuden mit Zuckerwatte und anderen bei Kindern beliebten Süßigkeiten. Doch das absolute Highlight ist eine Bootsfahrt. Jung und Alt, Frauen und Männer – sie alle stehen in der Warteschlange und warten geduldig bis sie an der Reihe sind um in das kleine Motorboot zu steigen. Die begehrte Fahrt führt drei mal um die Fontäne und dann sind die nächsten an der Reihe. Strahlende Gesichter und fröhliches Lachen begleitet die kurze Fahrt auf dem Wasser. Ich vergleiche dies innerlich mit dem Freizeitangebot in Europa. Dort würden vermutlich Jet-Skis um die Fontäne düsen.
Langsam schlender ich weiter und beobachte das Geschehen um mich herum. Ich bin inzwischen an einer seichten Stelle des Flusses angekommen. Hier treffen sich Gläubige, die zu einem der vielen Tempel unterwegs sind. Doch nicht nur in den Tempeln sondern auch am Ufer des heiligen Flusses wird gebetet. In bunte Saris gekleidet stehen Frauen im Wasser, Seite an Seite mit den Kindern und benetzen sich die Hände mit dem Wasser. Männer krempeln sich die Hosenbeine nach oben und waten auf die andere Seite des Ufers. An einer Stelle befindet sich ein Brunnen und das aus ihm sprudelnde Wasser wird direkt vor Ort getrunken oder in Flaschen gefüllt. Das ist doch nicht etwa Flusswasser? Heilig oder nicht, das kann einfach nicht gesund sein. Selbst wenn die Tuktuks ein Stück flussabwärts gewaschen werden, appetitlich sieht das heilige Gewässer auch hier nicht aus.
Ich selbst möchte nicht in den Fluss steigen, auch wenn an dieser Stelle das Wasser den Menschen nur bis zum Knie reicht. Stattdessen benutze ich einen der vielen Brücken-Stege, die über den Fluss führen.
Nashik hat eine Einwohnerzahl von knapp 1,5 Millionen Menschen. Während des Kumbh Melas kommen weitere Millionen von Pilgern hinzu. Kaum zu glauben! Die schubsen sich ja gegenseitig von den schmalen Betonübergängen in den Fluss. Das letzte Kumbh Mela war im Jahr 2003 bei dem während des rituellen Bades im Fluss eine Massenpanik ausbrach und 43 Menschen zu Tode kamen. Ein schreckliches Ereignis für alle, die es miterlebten. Das nächste Kumbh Mela Fest wird im Sommer 2015 stattfinden und jeder hofft, dass sich diese Tragödie nicht wiederholt.
Ich bummel durch die Gassen, vorbei an spielenden Kindern die mich interessiert betrachten. Eine fünfköpfige Gruppe auf einem quietschenden Dreirad fasst Mut und spricht mich an: „Mam! Foto?“ Gespannt schauen sie in die Kamera als ich auf den Auslöser drücke. Klick! Als ich ihnen das Ergebnis auf dem Display zeige geht ein Strahlen über die Gesichter der drei älteren Jungen. Darauf folgt ein kurzes Kichern und gegenseitiges Anstupsen bevor der Fahrer in die Pedale tritt und das Fahrzeug und seine Besatzung mit einem durchdringenden „Quiiiitsch,quiiiitsch!“ um die nächste Ecke verschwindet.
Der Spaziergang macht müde und durstig, daher lege ich eine kleine Pause ein und setze mich in ein kleines Cafe. Eines der wenigen Lokale die ich in Indien sehe, in dem Stühle und Tische auf einer provisorischen Holzterrasse stehen. Meist ist es nur möglich im Inneren zu sitzen. Ich wähle eines meiner Lieblingsgetränke, Soda mit frischem Zitronensaft und einer Prise Salz. Schmeckt hervorragend!
So gestärkt mache ich mich wieder auf den Weg und lande in der „Schneidergasse“. Hier hat ein Schneider neben dem anderen seine mechanische Nähmaschine am Straßenrand aufgebaut und führt dort unter den Augen seiner Kunden und der Passanten seine Arbeit aus. Zum Schutz vor der Sonne haben die Näher sich Schirme über ihren Arbeitsplatz gespannt.
Eine Straßenecke weiter treffe ich auf einen jungen Mann, der an seinem Stand Ananas verkauft. Er schält die Frucht, schneidet sie in mundgerechte Stücke und bietet sie auf Papier gelegt zum Verzehr an. Das schälen geht blitzschnell! Was bei mir Zuhause eine vollgekleckerte Küche hinterlässt sieht hier spielend einfach aus. Die Frucht wird rundum geschält und danach schneidet er die verbliebenen „Augen“ in Kerben aus der Frucht. Als Arbeitsgeräte dient ihm ein großes scharfes Messer und ein Tuch, um die halb geschälte Frucht zu halten. Das Tuch hat vermutlich schon bessere Tage gesehen, doch ich gehe einfach mal davon aus, dass es nur Ananassaft ist was die gräuliche Farbe bewirkt. Die Frucht duftet reif und aromatisch und auch ich kaufe mir, neben anderen Kunden, eine Portion.
Bevor er mir das Obst reicht wird es noch mit Masala bestreut, eine indische Gewürzmischung mit der sehr viele Gerichte wie z.B. Currys verfeinert werden. Diese Masalamischungen sind meist Hausrezepte und variieren je nach Region. Sie schmecken auch auf Gurkensalat oder Mangofrüchten.
Selbst in dem Soda- Zitronen- Getränk wird oft Masala anstatt der Prise Salz verwendet, was jedoch nicht unbedingt mein Geschmack ist.
Das bekannteste Masala ist sicher das Garam Masala, welches entweder in Pulverform oder auch als Paste zu kaufen ist. Die Grundzutaten eines traditionellen Garam Masalas sind schwarze Pfefferkörner, Kreuzkümmel, Stangenzimt, Kardamomkapseln und Gewürznelken. Diese Zutaten werden in einem Topf ohne Fett geröstet und anschließend im Mörser zu einem feinen Pulver verarbeitet. Es ist das meistgebrauchte Gewürz in meiner Küche und bringt damit einen der typischen Düfte Indiens nach Spanien.
Inzwischen beginnt bereits die Abenddämmerung und ich mache mich langsam auf den Weg zurück zum Hotel. Es war ein langer Tag mit vielen neuen Eindrücken, doch inzwischen bin ich müde und sehr hungrig. Direkt neben dem Hotel ist ein Familienrestaurant in dem ich noch etwas essen gehen, bevor ich in meinem Zimmer ins Bett falle. Zum schlafen ist es noch zu früh, doch in weiser Voraussicht habe ich ein Buch mit auf die Reise genommen. Es dauert jedoch nur zwei Kapitel, bis mir die Augen zufallen und ich es gerade noch schaffe vor dem einschlafen das Licht zu löschen.
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