Die Andenstadt Cusco und das Künstlerviertel San Blas
Samstag
Cusco
Wir werden heute nicht vom Wecker, sondern von plätscherndem Regen geweckt. Sollte tatsächlich unser letzter Tag in Cusco verregnet sein? Erst mal abwarten, sicher ändert sich das noch. Edith zweifelt an meinen Optimismus und es sieht wirklich nach Dauerregen aus, der Himmel ist grau in grau. Wir lassen uns daher mit allem ein wenig mehr Zeit und nutzen das Wetter um uns schon mal Gedanken zu machen, wie wir die vielen neuen Alpaca Pullover in unseren Koffern unterbringen. Denn das wird eng! Beide haben wir drei Pullover mehr und zusätzlich noch die „Mitbringsel“. Da kommt mir eine Idee: warum schicken wir nicht ein Paket? Zumindest an meinen Bruder, da er in Deutschland lebt müssen wir es sowieso verschicken. Warum erst bis Spanien tragen und nicht gleich hier in Peru ein Paket packen?
Die Post ist nur einige Meter von unserem Hotel entfernt und ich werde heute Abend dort nachfragen.
Da der gesamte Tag zur freien Verfügung steht, haben wir einige Ideen zusammengestellt, was wir gerne in Cusco noch sehen möchten. Doch zuerst frühstücken und abwarten wie das Wetter wird.
Es ist kaum zu glauben, aber Petrus hat augenscheinlich eine Schwäche für uns. Wir sind mit unserem Frühstück fertig als die ersten Sonnenstrahlen durch die Wolkendecke blinzeln.
Was für ein Glück! Wir packen unsere Fotoapparate ein und machen uns auf den inzwischen bekannten Weg Richtung Plaza de Armas. Nicht weit von der Plaza entfernt befindet sich die Kirche „La Merced“ mit dem dazugehörenden Kloster und Museum und hier beginnen wir mit unserer Besichtigung. Als wir eintreten werden im Innenhof die Blumen für den Altarschmuck gerichtet und der gesamte Brunnenrand ist bedeckt mit weißen Lilien. Ein wirkliches Blumenmeer, das uns hier empfängt.
Wir gehen den Kreuzgang entlang, bewundern die Bilder und ein Monstranz aus dem Jahr 1720. Sie ist aus purem Gold, über einen Meter hoch und mit Perlen und Diamanten besetzt.
Absolut sehenswert ist eine unterirdische Mönchszelle, hier hat im 18.Jahrhundert ein Eremit gelebt und die Zelle vollständig mit Fresken ausgemalt. Es sind die verschiedensten Motive, aber alle wirken sehr bedrohlich und der Teufel ist ein immer wiederkehrendes Motiv. Wie konnte dieser Eremit in dieser Gesellschaft schlafen? Es sieht aus, als habe sich jemand seine Alpträume an die Wände gemalt. Ob dies seine persönliche Hölle war?
Nachdem wir die Zelle verlassen haben, gehen wir in das obere Stockwerk wo zwischen all den Gemälden eine Plastik in einer Glasvitrine zu sehen ist. Es handelt sich um ein Kunstwerk aus jüngerer Zeit und zeigt Jesus nach der Abnahme vom Kreuz in den Armen seiner Mutter Maria. Beide haben indigene Gesichtszüge. Maria trägt ein langes hochgeschlossenes und elegantes Festtagskleid in bunten kräftigen Farben und Jesus einen Lendenschurz mit einem Muster aus der Zeit der Inka. Ich mache etwas, was ich sonst eigentlich ablehne. Ich frage den jungen Mann, er ist gerade beim Staub wischen, ob es möglich sei ein Foto von diesem Kunstwerk zu machen. Er überlegt einen Moment „Ja, aber dann müssen Sie etwas spenden. Für die armen Kinder, dann ist das o.k.“ Kein Problem, das ist mir auf jeden Fall eine Spende wert und mit ein wenig schlechtem Gewissen schieße ich ein Foto. Bestimmt ist das verboten! „Wo soll ich die Spende denn abgeben? Am Eingang?“ frage ich nach. „Nein, ich kann das nehmen und gebe es dann den armen Kindern“ erklärt mir der hilfsbereite junge Mann. Nachdem ich mein Obolus entrichtet habe gehen wir weiter zur Kirche. Hier machen wir einen kleinen Rundgang, besichtigen das Chorgestühl und bewundern den inzwischen mit weißen Lilien geschmückten Altar. Das war ein absolut lohnender Besuch!
Wieder auf der Straße gehen wir weiter in Richtung Westen, immer geradeaus und nachdem wir an dem Platz „San Francisco“ vorbei sind werden die Touristen immer weniger. An der Straße stehen Losverkäufer, Frauen sitzen auf einem Schemel und verkaufen Obst oder Kräuter. Einige sind alt, gebrechlich oder krank und bitten um eine finanzielle Hilfe in Form von ein oder zwei Münzen. Kurz vor dem Bahnhof San Pedro erreichen wir unser Ziel, die Markthalle von Cusco. Hier gibt es alles zu kaufen, Lebensmittel, Souvenirs, Kleidung und Haushaltswaren. Unser erster Halt ist zunächst jedoch ein „Saftladen“, eine ganze Reihe gibt es davon und hier werden die verschiedensten Säfte frisch gepresst. Wir machen es uns auf einem bereitstehenden Hocker bequem und warten auf unser Getränk. Der Saft ist hervorragend, die Pause tut uns gut und die Verkäuferin schenkt uns nach, als sie sieht wie es uns schmeckt. Als unsere Gläser leer sind erkunden wir die Halle und gehen durch sämtliche kleine Gassen. Die unterschiedlichsten Gemüse- und Obstsorten sind zu sehen, Kräuter werden angeboten und einige Frauen verkaufen ihre Waren auch auf dem Boden, da sie für einige Kilo Kartoffeln keinen eigenen Stand haben. Kinder spielen unter den Verkaufsständen und schauen den Erwachsenen zu. Danach kommt der Bereich Brot und Nudeln, daneben die verschiedenen Käsesorten. Fleisch- und Fischabteilung bieten alles was man für ein gutes Menü braucht. Ein weiterer Bereich bietet Plastikschalen, Holzkochlöffel, Töpfe und Pfannen und ähnliches an. Ganz hinten, am Ende der großen Halle, befindet sich die „Suppenküche“. Hier gibt es die verschiedensten Eintöpfe und die Menschen sitzen an langen Holztischen auf Bänken um zu essen. Doch nicht nur hungrige Menschen treffen sich hier, sondern auch Hunde streuen durch diese Halle auf der Suche nach etwas Essbarem. Voller Vertrauen gehen sie an die Esstische, wandern zwischen den Bänken herum und hoffen auf einen herunterfallenden Leckerbissen. Es wird niemand ungeduldig oder verscheucht die Tiere, sie werden geduldet und stören keinen. Ich beobachte einige Leute, die die teilweise sehr großen Vierbeiner streicheln und kraulen. Ich versuche, ohne allzu neugierig zu erscheinen, in die Töpfe und Teller zu schauen. Was ist denn da so alles drin in den Suppen? Huhn mit Reis oder Nudeln kann ich erkennen, auf einigen Tellern sehe ich Kartoffeln und auch sehr oft Fischsuppen. Auf einem Teller schwimmt etwas sehr undefinierbares, es sieht aus wie kleine Frösche. Da muss ich mich geirrt haben, bestimmt! Wir gehen noch eine Gasse weiter, auch hier wird gekocht und an einem Stand wird Suppe zubereitet. Und direkt daneben sind die Zutaten: Huhn, Gemüse und eine Wasserschale mit kleinen Fröschen. Eine Frau steht daneben, fischt die zappelnden Tiere aus dem Wasser, schlachtet sie und ab geht´s in die Suppe. Ich habe kein Problem bei der Vorstellung einen Frosch zu essen, in Frankreich sind Froschschenkel eine Spezialität. Allerdings zu sehen wie sie getötet werden, dem noch lebenden Tier einfach die Haut abziehen! Eine der Frauen lacht als sie mein Gesicht sieht, die Köchin jedoch runzelt die Stirn und lässt sich wohl ungern ihr Rezept abschauen.
Wir verlassen die Essabteilung und gehen nochmals durch die Gänge und versichern uns, dass wir auch alles gesehen und nichts versäumt haben. Wir finden tatsächlich noch etwas Neues, eine „Schneidergasse“. Hier sitzen in kleinen Geschäften Männer oder Frauen hinter ihrer Nähmaschine und machen Änderungen, Ausbesserungen oder nähen auch ganz neue Kleidung. Wir wollen wieder zum Ausgang, als ich vor einem Obststand stehe und plötzlich spüre wie meine Hosentaschen abgetastet werden. Na nu, wer ist das denn? Ich blicke nach unten und entdecke den „Übeltäter“ wie er rasch unter einem Ladentisch verschwindet. Schnell bücke ich mich und schaue unter den Tresen. Ein etwa fünfjähriger Junge sitzt dort und grinst mich, mit dem Finger in der Nase, leicht verlegen an. „Entschuldigung“ sagt die Obstverkäuferin „er sucht nur nach Karamellen“. In meinen und Ediths Hosentaschen? Das war sehr flink – raus aus der Deckung, abtasten, rein in die Deckung! Es war Zufall, dass ich noch die Schuhspitze habe verschwinden sehen. Edith lockt ihn mit einem Bonbon hervor, er zeigt sich kurz und huscht dann mit seiner süßen „Beute“ wieder davon.
Inzwischen ist es fast Mittag und wir haben das Bedürfnis irgendwo einzukehren, uns eine Weile zu setzen und etwas zu trinken. Vielleicht auch eine Kleinigkeit essen? Wie wäre es mit einer Suppe? 🙂
Da es uns gestern in dem Cafe an der Plaza de Armas gut gefallen und geschmeckt hat, beschließen wir auch heute hinzugehen. Wir bekommen den gleichen Tisch und eine Stunde später haben wir uns wieder regeneriert und können den Nachmittag beginnen. Zuerst nutze ich jedoch ein Internet-Cafe, denn ab morgen sind wir ja für vier Tage im Dschungel und möglicherweise gibt es da keine Computer.
Wir möchten den Nachmittag mit dem Besuch des Naturkundemuseums starten, aber leider ist das heute geschlossen. Stattdessen landen wir in einem Ausstellungs- und Verkaufsraum für Silberschmuck, peruanische Handarbeiten und Holzschnitzereien. Ich finde ein paar Ohrringe und zufrieden mit meinem Einkauf machen wir uns auf den Weg in den Stadtteil San Blas, dem Künstler-Viertel von Cusco. Der Weg dorthin ist steil, durch schmale enge Gassen geht es immer bergan. Es sind alte Wege mit Kopfsteinpflaster, Fußgängerwege lassen nur für eine Person Platz und die Autos müssen sich genau in der Mitte halten, sonst schrammen die Rückspiegel an den Häusern an. Unterwegs besuchen wir einige Ateliers, wo Künstler ihre Gemälde zum Verkauf ausstellen. Dann haben wir es geschafft und sind an der Kirche von San Blas mit ihrer „Plaza“, auf der ein kleiner Künstlermarkt stattfindet.
Das Angebot umfasst auch hier Schmuck, Lederarbeiten und kleine Puppen. Wir setzen uns auf eine Bank, genießen die warme Sonne und beobachten mit Vergnügen das Leben um uns herum. Zwei Mütter sitzen uns gegenüber und sind gerade dabei ihre Kinder in Decken zu wickeln. Das scheint eine spezielle Technik zu erfordern, schließlich soll das Kind nicht unten aus dem Tuch rutschen wenn es auf dem Rücken getragen wird. Sie wickelt es zuerst in eine dicke Wolldecke und danach in das rotgestreifte Tuch, welches sie sich über die Schulter auf den Rücken bindet. Kalt wird dem Nachwuchs dabei nicht und Edith murmelt erschrocken „das Baby bekommt ja gar keine Luft in den zwei Decken“. Die jungen Frauen scheinen die Befürchtung jedoch nicht zu habe und spazieren fröhlich miteinander plaudernd weiter. Wir bekommen Besuch auf unserer Bank. Ein kleiner Junge von acht Jahren möchte wissen wo wir herkommen, wie alt wir sind, ob wir verheiratet oder ledig sind und ob wir Kinder haben.
Wir geben ihm bereitwillig Antwort und mit seinem neuen Wissen zieht er weiter. Eine Weile später kommt ein anderer Besuch, diesmal einiges älter, ungefähr 20 Jahre, und möchte die gleichen Dinge wissen. Er erzählt auch von sich, nach Cusco kommt er am Wochenende um Ansichtskarten zu verkaufen und Geld für die Familie zu verdienen. An den Wochentagen arbeitet er auf dem Land in einem kleinen Dorf in den Anden. Sein Vater ist gestorben, nun ist er als Ältester für die Familie und seine jüngeren Geschwister verantwortlich. Deshalb hat er kein Geld um in die Schule zu gehen, dabei würde er sehr gerne lernen. Sein Bruder ist jetzt acht Jahre alt und muss auch schon mithelfen um sie alle zu ernähren. Er würde sich wünschen in Europa zu leben und ob ich nicht weiß wie er nach Spanien kommen könnte. Würden wir nicht manchmal denken, es wäre schön einen zu Sohn haben? Es tut mir leid, aber ich vermisse wirklich keinen Sohn, weder einen zwanzig- noch einen achtjährigen und kann ihm nicht weiterhelfen. Er verabschiedet sich von uns und versucht weiter seine Ansichtskarten zu verkaufen. Wir machen uns auf den Rückweg, es wird langsam kühl und die Sonne verschwindet schon hinter den ersten Dächern.
Bis zu unserem Hotel brauchen wir ein wenig mehr als eine halbe Stunde und dort machen wir zuerst eine kleine Ruhepause. Doch es sind noch praktischen Fragen zu klären wie z.B.: wie bekommen wir unsere Koffer zu? Gar nicht, so wie es im Moment aussieht! Also doch ein Paket? Ich mache mich auf den Weg zur Post, eine hilfreiche Postbeamtin gibt mir ein leeres Paket und damit geht es wieder zurück ins Hotel. Dort beginnt die große „Packaktion“ und als der Pullover gut verstaut ist mache ich mich auf den Rückweg zur Post. Ob es dort neben Paketen auch Tesafilm oder Paketschnur gibt? Tatsächlich, auch hierfür gibt es eine Lösung. In der Posthalle ist ein Kiosk aufgebaut, darin sitzt eine junge Frau mit einer großen Rolle Paket-Klebeband und verpackt mir mein Päckchen fachgerecht. Nur Beschriften muss ich allein, die Daten werden in den Computer gegeben und „ab geht die Post“.
Nachdem sich unser Gepäck ein wenig verringert hat, bekommen wir mit viel drücken und quetschen den Koffer zu und sind für unsere morgige Weiterreise vorbereitet. Mit Wehmut denke ich an Conchitas Rucksack, das war entschieden praktischer. Doch da wir diesmal nicht zurück nach Cusco kommen, müssen wir mit unserem kompletten Gepäck reisen.
Zum Abendessen gehen wir den inzwischen vertrauten Weg zur Plaza de Armas und suchen uns ein nettes, gemütliches Restaurant aus. Dort bestellen wir jeder ein „Rocoto relleno“ und es schmeckt uns genauso gut wie beim letzten Mal. Im Laufe des Abends kommt noch eine Musikgruppe und unterhält die Gäste mit ihrer Darbietung. Der Abend vergeht wie im Flug und schon ist es Zeit, uns wieder auf den Rückweg zum Hotel zu machen. Langsam und in Ruhe schlendern wir die Hauptstraße entlang zurück und es ist schade, dass unsere Zeit in den Anden schon vorbei ist. Doch morgen wartet ja eine neue und ebenfalls spannende Reise-Etappe auf uns. Es geht in den Dschungel, und wir sind sehr gespannt welche Eindrücke uns dort erwarten.
In unserem Zimmer angekommen, die Gedanken zwischen Machu Picchu und kreischenden Papageien in den Baumwipfeln, gehen wir ins Bett und schlafen wie immer sofort ein.
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