Peterhof, die Sommerresidenz des russischen Zaren Peter I
Peterhof, ein Vorort von St. Petersburg
Vorsichtig öffne ich die Augen. Wie spät ist es denn? Erst sechs Uhr, das ist kaum zu glauben. Doch es wird früh hell in St. Petersburg und ich sehe bereits blauer Himmel. Super! Gerade heute haben wir uns gutes Wetter gewünscht, denn es geht in einen der schönsten Vororte von St. Petersburg. Der Peterhof, die 29 Kilometer westlich gelegene Sommerresidenz Peter I.
Da wir aus unserer Erfahrung des Katharinen-schloss gelernt haben, sind wir bereits um 9ººh mit Artur verabredet und pünktlich steht er mit seinem Auto am verabredeten Ort.
Wir treffen ihn einige Meter vom Hotel entfernt, denn wir haben seinen Taxiservice direkt bei ihm gebucht und nicht an der Rezeption. „Sonst muss ich dort Kommission bezahlen“ war Artur seine Erklärung für die fünf Meter Fußweg. Und tatsächlich ist der vereinbarte Preis auch günstiger als vor zwei Tagen.
Die Fahrt ist abwechslungsreich und unterwegs erzählt uns Artur ein wenig von seinem Leben. Er ist verheiratet und arbeitet als Lehrer für Philosophie an der Universität. In den Sommermonaten verdient er sich mit den Taxifahrten etwas zu seinem Lebensunterhalt hinzu. So kann er und seine Frau sich hin und wieder einen Urlaub mit der gemeinsamen Tochter leisten. Wo verbringt er mit seiner Familie den Urlaub? Am Schwarzen Meer? In Sotschie? Zur Zeit ja sicherlich nicht in der Krim? „Nein, nein“ lacht Artur. „Das ist alles viel zu teuer! Alles in Russland ist teuer! Wir fahren in die Türkei!“ Ach, in die Türkei? Das ist preiswerter? „Ja, für eine Woche in Russland kann ich zwei Wochen Urlaub in der Türkei machen“ erklärt uns Artur. Er war bereits zwei mal dort und hofft im kommenden Jahr ein weiteres Mal mit seiner Familie eine Reise zu machen.
Wir haben inzwischen St. Petersburg verlassen und die Randbezirke erreicht. „Hier rechts, das ist eines der teuersten Hotels“ macht uns Artur aufmerksam. „Hinter dem Hotel ist ein Golfplatz mit Blick auf den finnischen Meerbusen.“ Ach? Sieht eigentlich gar nicht so beeindruckend aus. Ein dreistöckiges Häuschen, Parkplatz und ein Garten. „Der gesamte Vorort ist die teuerste Gegend hier bei St. Petersburg“ erklärt Artur mit einer allumfassenden Handbewegung. „Hier zu wohnen, das kann fast keiner bezahlen!“ Hmmm- ich bin nicht sonderlich beeindruckt, so ein paar kleine Datschas. Wer wohnt denn hier, wenn das keiner bezahlen kann? „Putin!“ erklärt uns Artur. „Putin hat hier seine Sommerresidenz.“ Nun, das hebt natürlich den Grundstückspreis. Keine Frage!
„Schau! Hier rechts!“ höre ich Arturs Stimme, während er die Fahrgeschwindigkeit drosselt. Sommerresidenz? Ich sehe bis jetzt nur eine Mauer mit viel Wald dahinter. Und nun, wenn ich den Hals strecke, kann ich einen Park mit gepflegten Gehwegen erkennen. Putins Sommerresidenz? Wo ist die Residenz? „Sehr ihr dort hinten die Zufahrt? Da geht es zur Residenz. Und auf der anderen Seite hat man freien Blick aufs Meer, auf den finnischen Meerbusen.“ Als wir das schmiedeeiserne Tor erreichen hält Artur kurz an, damit wir ein Foto machen können. Das ist tatsächlich beeindruckend. Vor allem, wenn man bedenkt, dass es sich hier nicht um ein offizielles Regierungsgebäude handelt. Es ist das private Sommerhäuschen von Herrn Putin. Alle Achtung, eigentlich hatte ich mir den Sozialismus ja anders vorgestellt. Aber mal ehrlich, möchte ich wirklich in so einem Palast wohnen? Wenn ich mir vorstelle, ich suche meinen Mann, nur um zu fragen ob er diese Woche schon das Fernsehprogramm gekauft hat! Und wie angenehm ist es doch bei mir zu Hause zu rufen: „Essen ist fertig!“ Es sei denn, man hat Ehestreit, da ist die Residenz genau das richtige. Bis man sich wieder findet ist der Streitpunkt vergessen. Doch als Artur erklärt, Putins Kind kann in dem Park spielen, schlägt meine Fantasie wirklich Purzelbäume. Das arme Kindermädchen, ob sie Dienst-Rollschuhe hat?
Wir fahren weiter entlang des südlichen Ufers des finnischen Meerbusens und haben bald darauf Peterhof erreicht. Den Gedanken an eine repräsentativen Sommerresidenz ist nicht neu, bereits Peter I hatte ihn 1709 nach dem Sieg bei Poltava. Doch erst fünf Jahre später wurden mit den Bauarbeiten am großen Schloss und den Kaskaden begonnen. Erwähnt wurde Peterhof jedoch bereits 1705 als St. Petersburg noch im Bau war. Um die Stadt zuverlässig von der See her zu schützen wurde auf der Insel Kotlin eine Zitadelle errichtet, die spätere Marienfestung Kronstadt. Peter I widmete dem Festungsbau große Aufmerksamkeit und hielt sich des öfteren dort auf. Auf dem Weg dorthin wurde als Raststätte ein Schloss mit zwei Gemächern errichtet und erhielt den Namen Peterhof.
„Das schönste sind die Wasserfontänen“ erzählt Artur voller Begeisterung. „Es sind 2.000 Fontänen mit Wasserspielen.“ Davon habe ich gelesen und Bilder gesehen, laut meinem Reiseführer übertreffen die Wasserspiele von Peterhof sogar Versailles und sind damit einzigartig in der Welt.
Inzwischen haben wir Peterhof erreicht, Artur sucht einen Parkplatz und begleitet uns zum Eingang. Wir sind heute früh und daher sind die Kassenhäuschen noch frei. Keine Warteschlangen, wie ungewohnt und angenehm. Sobald wir unsere Eintrittskarten haben, verabschiedet sich Artur, erklärt mir nochmals wo der Parkplatz ist und wünscht uns einen schönen Tag.
Wir betreten die Anlage am großen Schloss und haben freien Blick auf die große Kaskade bis hinab zum Meer.
Der erste Eindruck lässt uns augenblicklich verstummen! Wo sind die Wasserspiele? Nicht eine Fontäne, die in die Höhe schießt. Hoffentlich haben wir nicht einen Tag erwischt, an dem die Wasserpumpen gereinigt werden oder so etwas. „Vielleicht sind wir ja zu früh“ versuche ich mir die Sache schön zu reden. Doch auch ohne Wasserfontänen, der Blick ist spektakulär. Ein weitläufiger Park mit einem Wasserlauf und Sicht auf das Meer. Wo findet man so etwas schönes nochmal? Ach ja- bei Familie Putin vermutlich! Aber sonst?
Links von uns liegt der große Palast, der in mehreren Etappen entstanden ist. Doch wir nutzen das gute Wetter und verzichten auf eine Besichtigung des Palastes. Stattdessen steigen wir die Treppe der großen Kaskade hinab und spazieren entlang des Wasserkanals bis zum finnischen Meerbusen. Ein wunderschöner Spaziergang und bis jetzt sind außer uns kaum Besucher anwesend.
Am Meer angekommen haben wir Sicht bis nach St. Petersburg und ich bin fest davon überzeugt, dass ich am Horizont Finnland erkennen kann. Inzwischen landet auch das erste Boot, welches Besucher aus St. Petersburg bringt. „Schau mal“ macht mich Edith aufmerksam. „Von hier kann man auch nach Finnland fahren.“ Tatsächlich! Hier werden Tagesausflüge nach Helsinki angeboten. Doch für uns ist das nicht so interessant, vor allem haben wir in unserem Visum nur eine einmalige Einreise nach Russland. Also, wir bleiben hier!
Inzwischen hat der Besucherstrom erheblich zugenommen und viele sammeln sich auf dem Platz vor dem großen Palast. Es ist wie ein Balkon mit Blick auf die Kaskaden und selbst von hier erkennen wir, dass die Menschen Schulter an Schulter stehen. „Die Wasserspiele! Bestimmt machen die gleich die Fontänen an!“ Es ist inzwischen kurz vor elf und ich vermute, dass die Besucher auf dieses Ereignis warten. Daher machen wir uns auf den Rückweg um das Schauspiel nicht zu verpassen. Wir suchen uns einen Platz auf einer Brücke mit Blick auf den großen Palast und die direkt darunter liegende große Kaskade. Und tatsächlich! Punkt elf Uhr ertönt klassische Musik und die Wasserspiele beginnen. Die Kaskade besteht aus 64 Wasserspielen, 255 Skulpturen, Reliefs, drei Wasserfälle und zwei Grotten. Am Fuß der Kaskade steht die drei Meter hohe Figur von Samson, der einem Löwen das Maul aufreißt. Die goldenen Figuren schillern in der Sonne mit den Wasserfontänen um die Wette. Ein großartiger Anblick und um uns herum ertönen viele „Ohh“ und „Ahh“ der begeisterten Zuschauer. Nach einer viertel Stunde verklingt leise die Musik und die Menschen verteilen sich in dem riesigen Park.
Wir selbst wenden uns nach links und erreichen so die Eva-Fontäne. Sie ist, mit der auf der Ostseite ihr geometrisch gegenüber liegenden Adam Fontäne, eine der ältesten Springbrunnen Peterhofs.
Langsam schlendern wir gerade aus weiter bis wir die Löwen Kaskade erreichen. Es ist ein endlos scheinender Park mit strahlenförmig auseinander laufenden Alleen. Doch nicht nur Tagesbesucher gehen in dem gepflegten Park spazieren, die Anlage hat auch feste Bewohner. Eichhörnchen hüpfen quer über die Spazierwege, bleiben neugierig auf den Hinterbeinen sitzen und beobachten die Besucher. Hat da vielleicht jemand Nüsse in der Tasche? Einige der Besucher haben Fressen für die kleinen Nager mitgebracht und relativ zutraulich nähern sich die Tiere. Vor allem die Kinder sind von den possierlichen Sammlern begeistert.
Langsam bummeln wir weiter und erreichen den See gegenüber des Marli Pavillons, ein ursprüngliches Gästehaus. Hier verbringen wir ein Weile mit Nichtstun, genießen die Sonne und verplaudern die Zeit. Auch das gehört zu einem erholsamen und entspannten Urlaubstag.
Auf unserem Weg zurück kommen wir an der Eremitage vorbei, ein von einem Wassergraben umgebener Pavillon. Hier haben einst kleinere Gesellschaften bei herrlichem Ausblick auf das Meer ungestört tafeln können. Das besondere an diesem Pavillon war, dass mit einer Zugvorrichtung der gedeckte Tisch in das Obergeschoss befördert wurde. Die Dienerschaft blieb im Erdgeschoss und die gesellige Runde war ungestört. Vielleicht waren es ja auch öfter „Dinner for two“ anstatt Gesellschaften?
Wir entdecken unterwegs noch ein Wachsfiguren-Museum, doch bei diesem schönen Wetter möchte keiner von uns beiden das Innere besichtigen. Museum hatte wir gestern den gesamten Tag, zuviel Bildung in den Ferien muss auch nicht sein.
Wir bummel hinüber in den Ostteil des Parkes, passieren die Adam-Fontäne und erreichen das Schloss Monplaisir. Diese ehemalige Lustschlösschen Peter des Großen beherbergt heute eine Gemäldesammlung holländischer und flämischer Meister.
Doch die Attraktion in diesem teil des Schlossparks sind die Scherzfontänen, die ahnungslose Besucher mit Wasser bespritzen. Und natürlich auch die NICHT ahnungslosen, denn bei den heutigen Temperaturen ist so eine kleine Dusche erfrischend und eine Gaudi für Jung und Alt. Es sind mehr Wasserspiele und Fontänen als wir besichtigen können. Auch der Park selbst ist zu groß um alles an nur einem Tag zu sehen. Doch wir sind uns beide einige, weniger ist mehr! Lieber nur einen Teil ansehen, doch das ohne Stress und in Ruhe. Langsam bummeln wir zurück zur großen Kaskade, machen noch einige Fotos und schauen den hier sitzenden Künstlern über die Schulter. Es ist bei allen das gleiche Motiv, die Kaskade, doch jeder Maler hat eine andere Version der Fontänen. Auch eine Schulklasse ist hier mit Malblock und Farbe um individuelle Eindrücke zu Papier zu bringen.
„Möchtest du noch den großen Palast besichtigen?“ frage ich Edith. Doch sie ist der gleichen Ansicht wie ich, wir genießen lieber noch ein wenig die Mittagssonne und unsere Umgebung als nach weiteren Sehenswürdigkeiten zu schauen. Daher setzen wir uns mit Blick auf die Kaskaden in die Sonne und machen eine Pause. Und langweilig wird das nicht! Es macht Spaß all die Menschen, die an diesem Sommertag unterwegs sind, zu beobachten. Da vergeht die Zeit wie im Flug.
Müde und zufrieden mit dem heutigen Tag machen wir uns auf den Rückweg. Auf dem Balkon knipsen wir noch einmal die große Kaskade, diesmal mit den Fontänen. Es ist einfach schön, anders lässt sich der Tag gar nicht beschreiben.
Am Ausgang wartet bereits Artur auf uns und begleitet uns zu seinem Auto. „Und?“ möchte er wissen „hat es euch gefallen?“ Ja, sehr! Der Peterhof sollte für jeden Besucher von St. Petersburg ein „must see“ sein.
„Wenn ihr möchtet fahren wir noch nach Oranienbaum“ bietet Artur uns an. „Es ist nicht weit von hier, nur etwa 10 km entfernt.“ Ja, gerne nehmen wir das Angebot von Artur an. Oranienbaum gehörte ursprünglich Alexander Menschikov und ging erst später in das Eigentum der Zarenfamilie über. Es ist einer der wenigen Ort, die während des letzten Weltkrieges nicht zerstört wurden. Der Park mit seinen Kunstschätzen lag außerhalb des von den Deutschen besetzten Gebietes.
Die Fahrt nach Oranienbaum dauert eine knappe halbe Stunde und wir erreichen den von Touristen leider etwas unbeachteten Park. Natürlich kann Oranienbaum nicht mit der Pracht und dem Luxus von Peterhof mithalten. Doch es ist ein ruhiger, erholsamer Park mit schönen Waldwegen. Genau das richtige zum Abschluss an die vielen Besucher von Peterhof. Wir treffen noch eine Gruppe junger Leute und die angestellten Mitarbeiter. Es gibt verschiedene kleine Paläste, Pavillons und ein Glasperlenkabinett zu besuchen. Am besten gefällt uns der Rutschbahn-Pavillon. Das Rokoko-Schloss in blau-weiß diente zur Zeit Katharinas als Vergnügungsschloss für die Hofgesellschaft. Hinter dem Schloss befand sich eine hölzerne Rodelbahn, auf der im Winter mit Schlitten und im Sommer mit kleinen Wagen hinab gefahren wurde.
Welche ein erholsamer Abschluss des heutigen Tages! Während des Spaziergangs übt Artur mit uns einige russische Vokabel wie spassiba, piva und pahálujista. Ach ja,- und Voda! Sehr wichtig! Im Gegenzug übt Artur Bitte, Danke, Bier und Bratwurst.
Die Rückfahrt nach St. Petersburg dauert ein wenig länger, wir stehen teilweise im Stau. Doch dann ist es geschafft. Müde und zufrieden werden wir von Artur an der Ecke zum Hotels abgesetzt. Es ist inzwischen früher Abend und schon fast Zeit für das Abendessen. „Wohin gehen wir denn heute?“ kommt von mir die tägliche Frage. Eigentlich könnten wir es noch einmal in dem georgischen Restaurant versuchen. Wir haben zwar auch heute keinen Tisch reserviert, aber vielleicht haben wir ja Glück.
Doch nein, leider nicht! Auch heute sind alle Plätze reserviert. Ein junger Mann gibt uns mit bedauerlicher Miene Auskunft. „Möchten Sie einen Tisch für morgen reservieren?“ Ja, das sollten wir tun, denn sonst wird es wohl nichts mit unserem georgischen Essen. Wir lassen uns für den nächsten Tag in das dicke Buch eintragen und stehen kurz darauf wieder auf der Strasse. Doch heute sind wir vorbereitet und haben eine zweite Wahl getroffen. Wir spazieren eine Ecke weiter, überqueren die Strasse und beteten ein vietnamesisches Restaurant. Dort bekommt Edith zwar immer noch nicht ihren original Borschtsch, doch es riecht sehr lecker.
Die Bedienung ist freundlich und außer uns sind noch zwei weitere Tische besetzt. Auch das Essen ist nicht schlecht. Nicht so wie wir es aus Vietnam kennen und eigentlich fährt man wirklich nicht nach St. Petersburg um bei einem Vietnamesen zu essen. Aber was soll´s- wir haben uns durch den leckeren Duft anlocken lassen. Und wir sind ja auch nicht unzufrieden.
Müde und satt kommen wir wieder zurück in unser Hotel, wo wir an der Bar mit Blick auf die jetzt beleuchtete Kirche der Auferstehung Christi noch einen Absacker nehmen. Dabei lassen wir den Tag noch einmal an uns vorbeiziehen und sind uns wie jeden Abend einig: es war mal wieder ein toller Urlaubstag!
Für morgen haben wir einen ganz ruhigen Tag geplant, Stadtbummel mit einer Bootsfahrt durch die Kanäle von St. Petersburg. Letzteres können wir uns auf keinen Fall entgehen lassen. Doch zuerst werden wir ausschlafen, schließlich haben wir ja Urlaub! Mit einem letzten Blick auf die von Scheinwerfern angestrahlte Kirche gehen wir auf unser Zimmer und nicht lange danach schlafen wir beide tief und fest.
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