Reiseberichte Schweiz: Soglio, Kanton Graubünden – Evelyn Hofer und die Kastanienwälder
Man ist schon fast in Italien, wenn man den kleinen Ort Soglio erreicht. Im Kanton Graubünden liegt der Kreis Bergell und hier liegt das 200 Seelendorf Soglio, keine zehn Kilometer von Italien entfernt.
Das kleine Dorf liegt mit seinen schönen alten Steinhäusern malerisch am Hang, auf 1088 Metern. Mit dem eigenen Auto kommt man hier nicht hinein. Es gibt Parkplätze vor dem Ortseingang.
Ein schöner Spaziergang ist es auch, den Weg von der Hauptstraße unten, bis hinauf ins Dorf zu laufen.
Während die Sonne scheint und eine herrliche Herbststimmung in die Landschaft zaubert, steigt Rauch zwischen den Bäumen auf. Mir fallen die winzigen steinernen Hütten auf, die zwischen den Kastanienbäumen stehen. Hier kommt der Rauch hinaus; es riecht herrlich.
Unter den Bäumen ist es lebendig: Alt und Jung, Mann und Frau – alle sammeln sie Esskastanien und schaufeln sie zum Rösten in die Räucherhütten.
Ich bin in einem Kastaniendorf gelandet!
Um Soglio herum erstreckt sich der größte zusammenhängende Eßkastanienwald ganz Europas. Und im Oktober und November fallen sie tonnenweise zu Boden. Um die Dörfer Vicosoprano, Stampa, Bondo und Castasegna wachsen tausende von Eßkastanienbäumen. Was früher „Brot der Armen“ hieß ist heute Markenzeichen und Spezialität der Menschen aus dem Bergell und im Speziellen aus Soglio: in den kleinen Läden von Soglio und Castasegna gibt es die Maroni in allen Facetten: Kastanien als Mehl, Flocken, Nudeln, Marmelade, Kuchen, Brot, Bier oder eingelegt.
Dierse kleinen Läden entdecke ich, als ich endlich im Dorf ankomme. Es ist still hier oben und man hat eine herrliche Sicht, hinab ins Tal. Durch eine schmale Gasse komme ich, zwischen den alten, schiefen Steinhäusern hindurch zum Dorfplatz und dem großen Palazzo des Dorfes: dem Palazzo Salis. Es ist heute ein Hotel und Restaurant mit einem herrlichen Garten. Auch hier kann man sitzen und sich einen lokalen Wein schmecken lassen. Oder aber das Kastanienbier.
Das herrschaftliche Haus ist entsprechend eingerichtet – genauso herrschaftlich sind auch die Übernachtungspreise. Aber etwas Besonderes ist es allemal.
Wer hier über Nacht oder länger bleiben will, für den ist sicher eine Ferienwohnung oder Ferienhaus optimal. Einige der kleinen Häuser hier werden nämlich vermietet. Wenn man hier wohnt, kommt man sich vor wie einer der Einheimischen – während im Ofen die Maroni backen – das Einschneiden nicht vergessen, sonst heißt es: Ofen putzen.
Einige kleine Restaurants gibt es, eine Kirche und einen kleinen Raum, in dem ab und zu Konzerte stattfinden. Mehr ist hier nicht. Denkt man.
Aber als ich durch Soglio hindurch, bergauf lief, fiel mir plötzlich ein neues Haus auf. Seine besondere Bauart zeichnet es zwar als neues Haus aus, aber es passt sich wunderbar dem alten Stadtbild an.
Eine Galerie für Fotografie versteckt sich hier. Das ganze Haus strahlt eine besondere Ästhetik aus; die Beleuchtung und die karge, einfache Einrichtung lenkt den Fokus des Betrachters direkt auf die eindrucksvollen Fotos.
Evelyn Hofer ist die Frau hinter der Kamera. Sie wuchs in Soglio auf. Heute ist sie bereits 87 Jahre alt und noch immer agil und mit der Kamera unterwegs. Sie hat es weit gebracht – ist nicht ihr Zweit-, vielleicht gar Hauptwohnsitz, New York. Ausstellungen in der ganzen Welt haben ihre Fotografien bekannt gemacht – Leica -, sie selbst blieb aber eher im Hintergrund. So ist es für mich um so überraschender hier im kleinen schweizerischen Nest, solche Fotografien zu entdecken. Oft ist die Ausstellung geschlossen -man kann sich den Schlüssel aber meist organisieren (in einem der Läden fragen).
Die meisten Menschen kommen aber wohl nach Soglio, um zu wandern. Von den meisten der oben erwähnten Dörfern gibt es Zugänge zum Panoramaweg. Ich bin begeistert von den herrlichen Alpenwiesen – schön bunt sind sie. Etwas weiter oben tauchen die ersten Wollgräser auf und irgendwann höre ich die ersten Murmeltierpfiffe.
Vom Panoramaweg aus hat man einen gewaltig schönen Blick über die Landschaft und selbst die umgebenden Bergriesen kann man sehen – weiß, wenn man Glück hat. Man kann allerdings auch eine Etage weiter unten bleiben und auf dem Kastanienweg wandeln.
Wer im Anschluß ans Wandern allzu müde geworden ist, kann ich vom Postbus wieder hinunter ins Tal fahren lassen.
Von dort aus fährt man eine halbe Stunde, über die Grenze nach Italien, bis ins Dorf Chiavenna. Und schon ist man voll im italienischen Lebensstil: alles ist hier ein wenig schmuddeliger, die Wäsche hängt von haus zu Haus über die Gassen, schreiende Kinder, palavernde Mütter, kaffeetrinkende Väter. Auf den Märkten prangen die buntesten Blumen, frisches Obst und in den Supermärkten beherrschen Tomatensoße, Tomatenmark – eben alles aus Tomaten – die Regale. Chiavenna lädt zum Flanieren, Eisessen und Kaffeetrinken ein. Das Städtchen wird von einem Fluß durchquert und die Architektur der Bauten entlang des Flusses ist einzigartig und sicher das ein oder andere Foto wert.
Zu besichtigen gibt es hier das Castello, den Botanischen Garten und den eindrucksvollen Friedhof. Aber um das Flair der Stadt zu genießen reicht auch ein Bummel durch die kleinen Gassen aus.
Wer von hier aus weiterfahren will: von Chiavenna aus gehen zwei Alpenübergänge ab: über den Splügenpass und über den Malojapass.
Sehr schöner Artikel über Soglio. Vielen Dank 🙂