Sachsenherzog Widukind und seine Quellen – eine Spurensuche in Ostwestfalen
Als sich der sächsische Herzog Widukind (Wittekind) im Jahre 885 in der Kaiserpfalz Attigny taufen ließ, hatte er zehn Jahre tapferen, erbitterten, aber militärisch letztlich aussichtslosen Widerstand gegen Karl den Großen und die Einverleibung des Sachsenlandes in das Fränkische Reich hinter sich. Mit seiner Taufe kapitulierte Widukind ideologisch, politisch und militärisch. Bekanntlich setzte Karl parallel zur militärisch-politischen Eroberung des Sachsenlandes die Zwangschristianisierung der sächsischen Gebiete, zu denen Westfalen als Kerngebiet zählte, durch. Wieweit Widukind zum Zeitpunkt der Taufe den christlichen Glauben auch „innerlich“ angenommen hatte, ist umstritten. Manchen Autoren deuten Widukinds Bereitschaft, sich taufen zu lassen, als nüchtern kalkulierten politischen Schritt. Widukind erkannte die militärische Notwendigkeit, sich Karl und seiner Zwangchristianisierung der Sachsen zu unterwerfen, und vollzog in diesem Rahmen folgerichtig genau den religiös-symbolischen Akt, den Karl ihm gegenüber einforderte. Eine innere „Bekehrung“ des Herzogs gab es demnach nicht, wahrscheinlich blieb er heimlich seinen alten germanischen Göttern treu. Andere moderne Autoren gehen von einer echten „Bekehrung“ Widukinds aus und leiten diese gerade aus der Logik des germanischen Götterglaubens ab: Widukind musste demnach nach der schrecklichen Serie von militärischen Niederlagen, die seine tapferen sächsischen Heere erlitten, von seinen (Kriegs-)Göttern Wodan und Saxnoth zunehmend enttäuscht gewesen sein. Vor diesem Hintergrund sei es nicht auszuschließen, dass Widukind den Christengott, an den sein Gegner Karl glaubte, irgendwann als den „überlegenen“ und vielleicht auch „wahren“ Gott empfunden hat
Unter der Hegemonie des christlichen Glaubens setzte sich im Frühmittelalter natürlich die Sichtweise von der „echten“ Bekehrung Widukinds durch. Allerdings verschob sich die Deutung ins Mystische, unter anderen entstand im Schoße der seinerzeit noch reichlich abergläubischen Christenheit die Sage vom „Quellwunder“, die die Bekehrung Widukinds u. a. auf ein Wundererlebnis zurückführt. In Ostwestfalen, das touristisch zur Urlaubsregion Teutoburger Wald gehört, finden sich bis heute viele Spuren dieser Sage. Darunter sind einige Wasserquellen, die den Namen des Sachsenherzogs tragen. Doch Vorsicht: Nicht alle W-Quellen in Ostwestfalen beziehen sich auf die Sage vom Quellwunder. Ich habe besagte Quellen und Zeugnisse in diesem Jahr an mehreren Wochenenden aufgesucht und fotografiert.
Das Quellwunder – Bergkirchen, Wittekindsberg, Herford, Enger, Minden
Als Orte des sog. Quellwunders gelten in lokalen Widukindsagen die Wittekindsquelle in Bergkirchen (Bad Oeynhausen) und die Widukindquelle auf dem Wittekindsberg (Porta Westfalica). Wittekind Bekehrung wurde nach dieser Sage durch ein göttliches Wunder möglich, das dem Sachsenherzog persönlich widerfuhr. Genauer gesagt: Widukind hat dieser Sage nach vom christlichen Gottvater höchstselbst einen Beweis für dessen göttliche Kraft erhalten – und das ging (vereinfacht dargestellt) so: Als der Sachsenherzog einst durstig und in seinem germanischen Götterglauben bereits schwankend durch des Bergwelt Westfalens (Wiehengebirge) ritt, stellte er den Christengott auf die Probe. Der Gottvater sollte Quellwasser aus dem felsigen Boden schießen lassen, um seine Macht zu demonstrieren. Im gleichen Augenblick trat Widukinds Ross mit dem Huf eine Quelle frei, aus der Widukind seinen Durst stillen konnte. In Bergkirchen soll der qua Wundererlebnis bekehrte Widukind oberhalb der Quelle die bis heute vorhandene Bergheimer Kirche gestiftet haben. Forscher schließen übrigens nicht aus, dass sich an der Stelle der heutigen Kirche einstmals ein heidnisch-sächsisches Quellheiligtum befand.
Während die Quelle in Bergkirchen bis heute sprudelt, versiegte jene auf dem Wittekindsberg bereits 1938 endgültig. Gleichwohl existiert auf den Wittekindsberg noch eine Quellfassung mit der in Stein gemeißelten Aufschrift „Widukindquelle“. Im Restaurant des nahe gelegenen Berghotels Wittekindsburg zeigt ein großes Ölgemälde von 1904 das lokale Quellwunder als dramatisches Ereignis, das Widukind als einsamem Reiter widerfährt. Das bekannte Wittekind Denkmal in Herford, dessen Urfassung 1899 entstand, bildet hingegen das Quellwunder in Bergkirchen ab. Ebenso wie das Gemälde im Berghotel zeigt es Widukind als germanischen Kriegers mit Lanze und Flügelhelm und betont die Dramatik des Sagengeschehens.
Andere Darstellungen des Quellwunders in Ostwestfalen sind weniger bekannt.
So befinden sich am Widukindbrunnen in Enger, der sog. Widukindstadt nahe Herford, an der Seite des Bunnenbeckens zehn Bronzetafeln, von denen eine das Quellwunder abbildet. Die Tafel zeigt einen Pferdehuf, der auf einem Felsen eine Quellfontaine freitritt. Im Ursprungsbau der heutigen Engeraner Stiftskirche wurde Widukind wahrscheinlich beigesetzt. Oben auf der Brunnenarchitektur befindet sich eine kleine Bronzefigur, die Widukind hoch zu Pferde auf seinem Weg zur Taufe nach Attigny darstellt.
Eine weitere kleinere Darstellung des Quellwunders findet man auf dem Markplatz in Minden. Am Haus Nr. 20, wo ein Figurenspiel die „Versöhnung“ von Widukind und Karl dem Großen darstellt, sind auch einige Tafeln zu – größtenteils realen – Wegmarken der Geschichte Mindens angebracht. Oberhalb der Tafeln befinden sich scherenschnittartige Darstellungen der jeweiligen Ereignisse oder Epochen. Die erste dieser Tafeln heißt „Ursprung der Widukindsquelle“ und das darüber abgebildete Geschehen wird auf 785 datiert.
Die Reinigungssage – Preußisch Oldendorf und Lübbecke
Die Reinigungssage erzählt von einem kriegsmüden Widukind, der angesichts der Niederlagen seiner sächsischen Truppen niedergeschlagenen und verzweifelt durchs Wiehengebirge reitet. Zu allem Überdruss wird der Sachsenherzog vom Aussatz befallen. Doch Gott (?) sei Dank fand Widukind Linderung, und dies laut Sage zunächst am Limberg, einem Berg südlich von Preußisch Oldendorf. Nahe der Burg Limberg, in der Widukind einzog, befand sich eine Quelle mit heilendem Wasser, in der der Heerführer zwecks Linderung seiner Pein täglich badete. Als fränkische Häscher von seinem Aufenthaltsort Wind bekamen, musste der Herzog allerdings fliehen und gelangte schließlich zu seiner Burg Reineberg (bei Hlidbeki, heute Lübbecke). Auch hier gab es eine Quelle mit gesundem Wasser, das der Herzog in diesem Falle trank. Dies und die gesunde Bergluft auf dem Reineberg – der daher auch seinen Namen haben soll – führten schließlich zur Gesundung („Reinigung“) des Sachsen. Die Quelle ist bis heute vorhanden, liegt an einem Wanderweg und trägt den Namen „Wittekindsquelle“.
Ebenfalls bei Lübbecke, unterhalb der Reste der Fliehburg Babilonie, gibt es eine weitere Quelle, durch deren Wasser der Sachsenherzog einer lokalen Sage nach Linderung erhalten haben soll. Sie heißt Babilonie Quelle, wird aber gelegentlich auch als „Widukindquelle“ bezeichnet. Die Babilonie war der Sage nach nicht nur einer der wichtigsten Stammsitze Widukinds, sondern auch sein Geburts- und Sterbeort. Ferner soll Widukind bis heute in einem Palast unterhalb der Babilonie (bzw. ihrer Reste) weilen und dort mit seinen Soldaten einen unermesslich wertvollen Schatz bewachen. Auch Widukinds silberne Wiege soll sich noch immer in diesen unterirdischen Gewölben befinden.
Reiselinks zu Ostwestfalen finden Sie hier.
Sehr cooler Blog! Wer macht Euer Design?
Aber jetzt mal zum Artikel: Ich war als Kind mal in Ostwestfalen und die Geschichten um das Quellwunder haben mich sehr begeistert. Zweifelsohne fand ich die Landschaft auch sehr schön, aber gerade dieser sagenumwobene Aspekt hat für mich den Kick ausgemacht.
Danke, dass Ihr mich an diese frühe Reise erinnert habt!
Hallo,
ich finde das ist ein sehr guter Beitrag. Ja, das waren noch harte Zeiten für die Sachsen als sie Karl den Großen als Gegner hatten.
Beste Grüße
Dominik
Tolle Idee!
beschäftige mich auch mit Urlaubsthemen und bin auf diesen interessanten Beitrag gestoßen.
Wieder eine Inspiration mehr 😉
Viele Grüße!