Tay Ninh und der große Tempel der Cao Dai
Dienstag
Heute haben wir ein festes Urlaubs-Programm. Um 9ººh werden wir von einem Taxi abgeholt und fahren zuerst zu dem Cao Dai Tempel und anschließend zu dem Cu Chi Tunnel. Letzteres wurde mir von einer Freundin besonders ans Herz gelegt, schließlich ist dies ein wichtiges Stück der vietnamesischen Geschichte.
Pünktlich sitzen wir an der Rezeption und warten auf unseren Fahrer. Der Ausflug ist auch mit einer Gruppe zu buchen und ist dann natürlich entsprechend preisgünstiger. Doch da wir uns gerne länger an den Sehenswürdigkeiten aufhalten oder auch mal unterwegs anhalten möchten wenn es uns gefällt, haben wir uns für ein Taxi entschieden.
Kurz nach 9ººh kommt ein junger Mann an die Rezeption. „Huch-das wird er doch hoffentlich nicht sein“ flüstert mir Edith zu. Kritisch schaue ich den Mann an. Schon klar was sie meint! Er wirkt ein wenig daneben, so als sei der gerade vor einer Stunde aus der Karaoke-Bar gesprungen und habe danach verschlafen. Doch er ist es! Freundlich nickt er uns zu, wirft noch einen bedauernden Blick auf das ebenfalls wartende Mädchen im Minirock, und geht mit uns zum Auto. „My name Jonny“ teilt er uns mit. First Cao Dai Tempel, take 3 hours“ und schon fädelt er sich in den Verkehr ein. Zügig geht es durch schmale Gassen, mal nach rechts mal nach links. Dann ein großer Kreisverkehr in dem er sich durch die Mopeds schlängelt. Endlich haben wir eine Hauptstraße erreicht, die uns zuerst in die Randbezirke und dann aus Ho Chi Minh City hinaus führt.
Die Fahrtzeit vergeht rasch mit plaudern und den vielen neuen Eindrücken, die sich uns unterwegs bieten. Der Verkehr ist fast unschlagbar. Mopeds und Autos schlängeln aneinander vorbei, überholen gewagt und oft halte ich für einen Moment den Atem an. Ob dieses Manöver wohl gut geht? Doch nichts passiert, das Moped fährt weiter und der Fahrer unterhält sich gelassen mit seinem Sozius auf dem Rücksitz.
Unterwegs legt Jonny einen kurzen Stopp ein, doch keine von uns möchte etwas essen oder trinken. Kurz vor 12ººh erreichen wir den Cao Dai Tempel. Das hat ja nun doch drei Stunden gebraucht für die 100 km, aber vermutlich wollte Jonny nicht allzu lange vor der täglichen 12ººh Andacht ankommen. Obwohl es hier sicherlich genug zu sehen gibt.
Der Caodaismus ist eine sehr junge Religon, die offiziell erst im Jahre 1926 gegründet wurde. Sie ist nach Buddhismus und Katholizismus die drittgrößte Religion im Süden Vietnams.
Es ist eine bunte Mischung aus den vier Religionen Daoismus, Kunfuzianismus, Buddhismus und Christentum . Doch Offenbarungen kommen im Caodaismus auch von bedeutenden Menschen wie z.B. Victor Hugo, Jeanne dÁrc und dem chinesischen Poeten Li Tai Po. Die Religion der Cao Dai lehrt die Seelenwanderung und moralische Grundsätze wie das Leben in Armut, Nächstenliebe, kein Alkohol und Vegetarismus ist selbstverständlich. Wie in der katholischen Kirche wird auch hier sexuelle Enthaltsamkeit gepredigt und die Priester leben im Zölibat.
Laut Internet und meinem Reiseführer ist die gesamte Hierarchie des Ordens nach dem Vorbild der katholischen Kirche aufgebaut. Daher gibt es verschiedene Ämter, Schüler, einfache Priester , Bischöfe und Erzbischöfe, Kardinal bis hin zu einem Papst. Im Caodaismus sollen auch Frauen hohe geistliche Ränge bekleiden können.
Jonny zeigt uns auf welchem Parkplatz er wartet und ich hoffe wir werden ihn zwischen all den Autos und Reisebussen wieder finden.
Im Haupttempel bimmelt inzwischen eine Glocke und weiß gekleidete Anhänger des Caodaismus strömen in Richtung ihres Gotteshauses. Es sind Frauen und Männer, die sich auf den Weg zur Andacht machen. Es finden jeden Tag vier Andachten statt, die erste morgens um 06ººh, jetzt um 12ººh und danach wieder um 18ººh und 24ººh.
Am Eingang des Tempels steht ein Mönch, der den touristischen Besucherstrom so platziert, dass die Caodaisten in ihrem Gebet nicht gestört werden. Wir bleiben daher gemeinsam mit den anderen Besuchern am Eingang stehen und beobachten die Andacht aus der Ferne. Es ist ein sehr farbenfrohes Bild.
Im Tempel überwiegt himmelblau und rosarot. Es ist für meinen Geschmack ein wenig kitschig, aber über Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten. Auf jeden Fall ist es interessant. Drachen winden sich um rosarote Säulen, an der blauen Decke schweben kleine weiße Wölkchen und überall ist das göttliche, sehende Auge. Das was man vielleicht in der christlichen Kirchen mit dem Altar vergleichen kann, ist hier eine Weltkugel, ebenfalls mit dem göttlichen Auge.
Männer und Frauen gehen gemeinsam zur Andacht, allerdings die Männer auf der rechten und die Frauen auf der linken Seite. So wie früher bei mir im Kommunionunterricht. Wir waren jedoch nicht so andächtig bei der Sache, das muss ich zugeben. Unter den weiß gekleideten Caodaisten befinden sich auch einige Männer in farbigen Gewändern. Sie repräsentieren mit diesen Farben die unterschiedlichen Lehren dieser Religion. Gelb steht für den Buddhismus, blau für den Taoismus und das rot für die christliche Lehre. Ich weiß es nicht genau, vermute jedoch, dass diese Männer in der Hierarchie über den weiß gekleideten Glaubensbrüdern und –schwestern stehen. Leider spricht keiner der anwesenden Priester englisch und somit bleiben meine Fragen offen.
Die Andacht geht sehr leise vor sich und wird von Musik begleitet. Einer der Priester gibt uns ein Zeichen, das wir gerne auch noch oben auf die Empore können. Dort sehen wir die Musiker und haben einen freien Blick auf das Geschehen im Raum.
Nach ca. einer Stunde ist die Andacht zu Ende und die Priester verlassen geschlossen und geordnet den Tempel. Alle so ziemlich im Gleichschritt und es erinnert mich wiederum an die katholische Kirche. Es mutet ein wenig an wie eine Prozession. Nun ist auch sehr klar zu erkennen wer in der Hierarchie oben steht und wer nicht. Besonders die in farbige Gewänder gekleideten Priester werden beim Auszug aus dem Tempel regelrecht hofiert.
Der „linke Flügel“ , der aus den weiblichen Gläubigen besteht, verschwindet vergleichsweise sehr bescheiden. Irgendwie scheint es auch hier mit der Gleichberechtigung nicht so recht zu klappen.
Wir verlassen den Tempel und gehen zurück zu dem Platz, an dem wir unsere Schuhe ließen. Bevor wir uns auf die Suche nach Jonny machen erkunden wir noch ein wenig das Gelände. Ein riesiges Areal umgeben von Parkplätzen sowie Unterkünfte und Raststätten für die Wallfahrer. Die Schätzung der Anhänger liegen bei zwei bis drei Millionen, es gibt jedoch auch Quellen die schreiben von acht Millionen Gläubigen alleine in Vietnam. Außerhalb Vietnams soll es etwa 30.000 Caodaisten geben. Zwei bis drei Millionen und acht Millionen, dazwischen liegt schon ein ziemlich großer Unterschied! Welche Zahlen jedoch nun auch die richtigen sind, am Hungertuch nagt diese Sekte jedenfalls sicherlich nicht. Laut meinem Nelle-Reiseführer verfügten die Caodaisten einst sogar über eine Privatarmee und mischte sich nach 1945 in das politische Geschehen ein.
Auch heute macht alles einen gepflegten und wohlhabenden Eindruck. Wie sich die Sekte wohl finanziert? Durch Spenden? Denn nach der Machtübernahme der Kommunisten wurde ein Großteil der Ländereien der Caodaisten verstaatlicht.
Erschrocken schaue ich auf die Uhr- schon fast halb zwei! Meine Güte wie die Zeit rennt. Wir haben auch keine Probleme Jonny zu finden. Einsam und alleine steht das Auto im Schatten eines Baumes. Alle Busse und Pkws sind längst wieder abgefahren. Unser Fahrer Jonny hat es sich bequem gemacht, den Liegesitz zurück gestellt und die Füsse auf dem Armaturenbrett schläft er tief und fest. Es braucht mehrfaches Klopfen am Fenster um ihn zu wecken. Das nenne ich optimale Nutzung der Zeit! Recht hat er! Trotzdem schaut er ein wenig peinlich berührt als wir ihn im Tiefschlaf ertappen. Aber lieber ein Nickerchen auf dem Parkplatz als unterwegs.
Als wir vom Gelände des Cao Dai Tempel rollen kündigt Jonny unser nächstes Ziel an: „Cu Chi Tunnel! Zwei Stunden!“ Zwei Stunden? Wirklich? „Yes, zwei Stunden!“ erklärt Jonny und bekräftigt seine Aussage mit einem Nicken. Upps- dann hat er auf dem Hinweg doch nicht getrödelt und die Fahrzeit Saigon- Cao Dai Tempel beträgt wirklich drei Stunden. Und die von der Rezeptionistin angegebenen sechs Stunden ist nicht die Zeit des Ausflugs, sondern lediglich die effektive Fahrzeit. Da haben wir uns aber ganz schön vertan! Ich bespreche mich mit Edith, denn wenn wir um 18ººh im Theater sein möchten reicht die Zeit nicht für die Cu Chi Tunnel. Entweder oder- wir müssen uns entscheiden. Sowas Dummes! Wenn wir das gewusst hätten, wären wir früher losgefahren und nicht bis zum Ende der Andacht geblieben. Aber das lässt sich nun nicht mehr ändern.
Wir entscheiden uns für das Theater! Denn so interessant die Tunnel und die damit verbundene vietnamesische Geschichte auch sein mag- in so einen engen Tunnel krabbel ich sowieso nicht rein. Auf gar keinen Fall! Abgesehen von meiner leichten Klaustrophobie würde ich da vermutlich gar nicht rein passen. Und was gibt es da sonst noch? Ein Videofilm wird gezeigt und an einem Schießstand kann ich meine Treffsicherheit versuchen. Nein, beide Punkte können es nicht mit dem Theater aufnehmen.
Jetzt muss ich nur noch versuchen das Jonny zu erklären. Denn sein Englisch ist nicht gerade das beste und unser Wunsch vermutlich nicht der übliche. Doch es geht viel einfacher als erwartet! „Back to hotel?“ fragt er nochmal nach. „Direkt zum Hotel?“ Ja, bitte, wir waren länger am Tempel als geplant. Doch das warum scheint nicht so wichtig zu sein. Kaum hat er die Bestätigung hängt er mit dem Ohr am Telefon während er geschickt den gefühlten tausend Mopedfahrern ausweicht. Mit wem mag er telefonieren? Seinem Chef? Doch wenn ich das richtig höre, ist am anderen Ende eine Frauenstimme. Vielleicht die Ehefrau? Schade das ich nichts verstehe. Doch mir scheint als sein ein freudiges Vibrieren in seiner Stimme. Wer weiß, vielleicht sagt er gerade: „Schatz, stell dir vor ich habe heute früher Feierabend! Ich bin in drei Stunden da und nicht erst spät abends!“ Wie auch immer er den Nachmittag nutzt, ich gönne ihm die unverhoffte Freizeit.
Drei Stunden später setzt er uns vor dem Hotel ab und wir verabschieden uns von Jonny.
Noch 1 ½ Stunden Zeit zum ausruhen und danach werden wir uns umziehen. Theater-fein aufbrezeln! Und anschließend gehen wir gegenüber auf die schicke Dachterrasse zum Abendessen.
Das Theater war definitiv die richtige Entscheidung! Es ist die AO-Show und hier zeigen junge Vietnamesen mit viel Humor und einer fantasievollen Dekoration mit minimalen Materialien ihr Können. Die artistische Leistung ist großartig und die Show ist wirklich zu empfehlen. Wir genießen jeden Moment dieser Vorstellung und die Gruppe erntet verdienten Applaus.
Ich habe Gott sei Dank daran gedacht eine Jacke mitzunehmen. Ansonsten wäre ich vermutlich erfroren! Wie so oft ist die Klimaanlage auf Dauerfrost gestellt. Die englische Damen hinter und neben mir sind fast blau gefroren, eine versucht sich in ihren dünnen Seidenschal zu wickeln. Doch das nett anzusehende Dekorationsstück ist dafür nicht geeignet. Theater-fein oder nicht, um meine blaue Trainingsjacke werde ich hier ganz klar beneidet. Selbst Edith fröstelt und zögerlich -tapfer biete ich ihr meine Jacke an. Doch netterweise lehnt sie ab. Danke schön liebe Edith! Dafür bekommt sie am Ende der Vorstellung auch ein Foto mit der AO-Show Gruppe.
Auf der Strasse verstaue ich meine Jacke wieder in der Tasche und wir spazieren auf dem kürzesten Weg zu dem Hotel mit Dachterrasse. Diese Terrasse haben wir bereits am ersten Tag von unserem Zimmer aus gesehen und nun hoffen wir, dass das Lokal unsere Erwartung erfüllt.
Doch leider ist es nicht ganz so wie erhofft. Aus der Ferne wirkt die Terrasse entschieden einladender. Auch das Essen ist nicht so unbedingt der Hit. Edith versucht es mit einem Cat-Fisch, ein Wels. Doch dieser bzw. die Zutaten sind sehr fettig und ich sehe ihr von weitem an, dass wird nicht ihr Lieblingslokal. Aber was soll´s, der Tag war trotzdem schön und so kleine Fehlgriffe kommen vor. Das Essen werden wir in unseren Urlaubserinnerungen irgendwann vergessen, doch der farbenfrohe Tempel und die gelungene Show wird uns noch lange in positiver Erinnerung bleiben.
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